Fertig gelesen: Der Autor als Agentur der Moderne

Der Autor als Agentur der Moderne , Frank O. Hrachowy, EUR 49.90
Im Wohnzimmer meines Vaters stand an einem Ende eine große Bücherwand in 80er-Jahre-Braun und Beige. Scheinwerfer strahlten eine große Hundertwasser-Kopie über der Stereoanlage an, ansonsten war das Ding voll von Büchern über alles Mögliche. Oben in der Ecke standen ein paar Jugendbücher, darunter auch eine Menge Hans Dominik, insbesondere die Eggerth-Trilogie, Wettflug der Nationen , Ein Stern fiel vom Himmel und Land aus Feuer und Wasser .
Eine Sache, die mich an diesen Büchern als Jugendlicher fasziniert hat, ist der Technikoptimismus und die pragmatische Attitüde der Figuren, die Dominik dort schildert.
Sie waren ein wesentlicher Motivator, als ich mir - aus dem selben Regal - den BASIC Brevier (in der 1980er Ausgabe) gezogen habe und noch ohne eigenen Computer oder Zugang zu einem mit Papier und Bleistift Programme schreiben und ausführen gelernt habe. Ganz wie Buddy in Whatever happened to the world of tomorrow seinem Vater aufgeregt Orbits von Raketen vorgerechnet hat, habe ich meinem Vater versucht, Programmierung von Rechnern vorzuführen…
Quelle: KLM Propellorvliegtuig, Nederland, 1957
Jedenfalls war ich frustriert von all den Diskussionen über Street View, Thilos Sonderweg, das Leistungsschutzrecht, den deutschen Jugendschutzwahn und was sonst so an politischen Willensbekundungen, die das Internet ablehnen, in Deutschland existiert, und das wiederum erinnerte mich an meine jugendliche Begeisterung für Technik. Wieso habe ich das, im Gegensatz zu so vielen anderen Menschen in meinem Land, das ja einmal das Land der Ingenieure und Erfinder war?
Ich las auch den Wikipedia-Artikel über Hans Dominik , und, äh, der kam mir dann selbst nach den Maßstäben der deutschen Wikipedia ausnehmend schwach und voreingenommen vor.
Immerhin verwies er in der Literatur auf das Buch im Titel dieses Beitrages, auch wenn er die Erkenntnisse dieses Buches im Artikeltext nur unzureichend nutzt. Also schnell Amazon bemüht, den Blurb dort gelesen und dann relativ schnell den Herrn Hrachowy und seinen Verleger um einen 50er reicher gemacht. Warum?
Im Fokus dieser literaturhistorischen Publikation steht die Exegese des literarischen Werks von Hans Dominik, das erstmals nicht nur fragmentarisch durch die Betrachtung seiner bekannten utopisch-technischen Romane ausgewertet werden sollte, sondern sämtliche Werke zu berücksichtigen trachtete. Weiterhin wurde Hans Dominiks umfangreicher, in der Berliner Staatsbibliothek lagernder literarischer Nachlass für diese Forschungsarbeit herangezogen.
Ziel war, das Verhältnis von Hans Dominik, als einem der meistgelesenen Autoren der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, zum zeitparallel stattfindenden Wandel populärer Literatur im Allgemeinen sowie Technikliteratur im Besonderen zu untersuchen und zu beschreiben. Die Auswertung der bislang unberücksichtigten primären Quellen erlaubte dabei den Einblick in Schriftstücke und Zusammenhänge, die eine Korrektur des kanonisierten Autorenbildes und gleichermaßen eine Neubewertung des Menschen Hans Dominik notwendig machen.
Der Autor hat sich also nicht nur die drei Eggerth-Romane plus das Erbe der Uraniden und Atomgewicht 500 reingezogen, sondern sich tatsächlich bemüht, einen Überblick über das Gesamtwerk von Hans Dominik zu bekommen und sich außerdem noch durch die Korrespondenz des Autors durchgebissen.
Das entstehende Portrait des Menschen Hans Dominik ist für mich noch faszinierender als seine Romane: Dominik war Schreiber für technische Dokumentation bei Siemens im Büro und lernt schnell, daß er technische Zusammenhänge echt gut erklären kann. Er macht sich selbstständig und hat schnell ein prosperierendes Geschäft, auf dem er eine solide Existenz und eine gewisse Prominenz aufbauen kann.
Dabei betrachtet er das Schreiben als Handwerk, nicht als Kunst: Er schreibt Texte, die unter einem anderen Namen oder als Whitelabel veröffentlicht werden, weil sie nicht zur Marke “Hans Dominik” passen, und er veröffentlicht Texte von anderen unter seinem Namen, weil diese wiederum zum Markenbild passen. Er schreibt Texte als Auftragsarbeiten, in Stil, Länge und Inhalt nach Wünschen des Auftraggebers angepaßt. Dominik agiert sich als Agentur für Texte, der Auftraggeber, Autoren und Autorennamen als Marke zusammenmischt und in Kontakt bringt, sodaß alles paßt.
Dabei bleibt er selbst auch in den politischen Wirren seiner Zeit er selbst und seiner politischen Linie treu (… und die ist, anders als die Wikipedia suggeriert, recht nazi-fern, nämlich kaisertreu. Das aus der heutigen politischen Landschaft, wo es diese Position nicht mehr gibt, und aus dem Abstand vieler Dekaden heraus zu differenzieren mag jedoch schwierig sein. Insbesondere, wenn man zugleich in den einen oder anderen Editwar verstrickt ist.)
Hrachowy gelingt es, uns einen Menschen in einer Zeit nahe zu bringen, die uns und unseren Denkweisen zugleich näher und ferner ist, als wir gemeinhin glauben, und uns zu erklären und zu belegen, wie diese Person und ihr Schreiben in ihre Zeit gepaßt haben. Für mich eine extrem faszinierende Lektüre, trotz des eher drögen Gewandes…