Materialized View

isotopp image Kristian Köhntopp -
August 15, 2012
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Daten in einer SQL-Datenbank werden in einer Tabelle abgelegt, also einer Struktur mit Spalten, die Namen und in vielen Fällen auch einen Datentyp haben. Eine Tabelle besteht dann aus 0 oder mehr Zeilen, die in dieses Spaltenschema passen.

Für das Schreiben von Daten möchte man diese dann Normalform bringen, um Anomalien bei Änderungen von Daten zu verhindern und um die Datenmenge kompakt zu halten. Kompakte Daten haben den Vorteil, daß sie von der Datenbank ganz oder in wesentlichen Teilen im Speicher gehalten werden können, sodaß lediglich tatsächliche Schreibzugriffe irgendwann die Platte treffen.

In den meisten Fällen wird man Daten nicht übernormalisieren wollen, weil sonst die Rekonstruktion von für die Anwendung nutzbaren Daten zur Laufzeit ziemlich kompliziert wird. Für Datenbanken, die hinreichend volatile Daten enthalten, wird man meistens eine Darstellung in der Nähe der 3. Normalform finden.

Normalisierte Darstellung von Daten

Normalisierte Darstellung von Daten: 1:n-Relation (Ein Hotel kann 0 oder mehr Reviews haben).

Webanwendungen zeichnen sich häufig dadurch aus, daß sie weitaus mehr Lesezugriffe als Schreibzugriffe haben - Benutzer einer Webanwendung sehen große Datenmengen durch, nehmen aber im Vergleich wenig Änderungen vor: Sie ‘browsen’. Daher ist es oft lohnend, Daten für Webanwendungen in eine Form zu bringen, die für Lesezugriffe optimiert ist. Das ist eine Denormalisierung: Die Daten, die für die Darstellung einer einzelnen Webseite benötigt werden, werden ausgejoined und in die von dieser Seite benötigte Form gebracht.

Dies kann zur Laufzeit geschehen und man kann die entsprechende Query in der Datenbank selbst abspeichern, in der Form eines Views:

CREATE VIEW v AS
  select ...  from t1 join t2 on t1.t1id = t2.t1id where ...

In diesem Fall wird jedoch die Join-Operation auf frischen Daten jedesmal durchgeführt, wenn ein Lesezugriff auf den View erfolgt.

Alternativ speichert man nicht die Query selber, sondern cached auch ihr Resultat in einer Tabelle:

CREATE TABLE mv AS 
  select ...  from t1 join t2 on t1.t1id = t2.t1id where ...

und wenn man schlau ist definiert man auch noch ein paar passende Indices da mit drauf. Hier hat man den Resultset der Query materialisiert, und kann nun Anfragen darauf fahren, ohne daß man die Operation zur Generierung des Resultats jedes Mal wieder neu ausführen muß. Das kann - muß aber nicht! - sehr viel schneller sein.

Materialized View

Materialized View: Ausgejointe 1:n Beziehung zwischen Hotels und Reviews.

# JSON-Repräsentation des Join-Ergebnisses
{
  "hotel": "citizen M",
  "location": ...,
  reviews: {
    review: { "score": 10, "text": ... },
    review: { "score": 9.8, "text": ...}
  }
}

Der materialisierte Resultset hat den Nachteil, daß er einen Schnappschuß der möglicherweise sehr volatilen Daten zu einem bestimmten Zeitpunkt darstellt und daß die Daten in dem materialisierten View unter Umständen nicht aktuell sind. Viele SQL-Datenbanksysteme stellen elaborate Systeme bereit, um Materialized Views zu definieren und Aktualisierungsregeln dafür zu definieren. Definierbar sind meistens der Zeitpunkt der Aktualisierung - manuell, per Kommando; automatisch nach Fahrplan, auf der Grundlage einer Zeitsteuerung; oder automatisch bei jeder Änderung, ON COMMIT. Definierbar ist oft auch der Änderungsalgorithmus, also eine komplette Neuerstellung des Materialized View von Null, oder ein Einarbeiten der Änderungungen in die bestehenden Daten (‘Delta-Processing’) wo das möglich ist.

Man ist aber bei der Definition von solchen Systemen gar nicht auf Datenbankmechanismen angewiesen, und tatsächlich ist dies in vielen Fällen auch nicht opportun. Dann nämlich, wenn die zu materialisierenden Datenmengen sehr groß sind, oder wenn der Umwandlungsprozeß aus der normalisieren Darstellung in die denormalisiere Darstellung besser in einer richtigen Programmiersprache statt in SQL dargestellt wird, läßt man den Prozeß besser extern laufen.

Dazu wird man Änderungen an den normalisierten Daten aufzeichnen wollen, damit man dem externen Umwandlungsprozeß die Primärschlüssel der geänderten Zeilen zur Verfügung stellen kann und man einen Delta-Processing Prozeß betreiben kann. Dies kann man mit Triggern in der Datenbank machen, aber das hat zumindest in MySQL den Nachteil, daß es synchron zur Datenänderung ausgeführt wird und so die Schreibzugriffe selber beeinflußt. Alternativ kann man diese Änderungen auch einfach in der Anwendung selber ausführen, wenn man Kontrolle über den Quelltext aller Schreiber auf die normalisierten Daten hat.

Denormalisierungsmaschine

Denormalisierungsmaschine

Ein solches Setup sieht in einem mir bekannten Beispiel so aus, daß eine Quelldatenbank existiert, die in den Hauptspeicher einer Maschine paßt - die Gesamtdatenmenge besteht aus ca. 200GB Daten. Die Datensätze sind relativ klein, rein numerisch: IDs von Entities in anderen Datenbanken und Preisdaten. Die Daten haben eine recht hohe Change-Rate: Externe Bearbeiter und entfernte Systeme ändern die Daten laufend und so schnell, daß es durchaus sinnvoll ist, daß die Darstellung normalisiert und schreiboptimiert erfolgt.

Zur Erzeugung eines read-optimierten Views wurde das System so geändert, daß die schreibenden Prozesse auch die geänderten IDs in einer Work Queue hinterlegen. Von dort greifen ca. 100 Worker parallel die Arbeitsaufträge ab, transformieren die Daten in eine read-optimierte Darstellung und legen das Resultat ihrer Bemühungen in einer anderen, getrennten Datenbankinstanz ab.

Die Schreibraten, die dabei entstehen, können beachtlich sein: Der Datenbestand wird durch das Ausmultiplizieren der Joins und das Entfalten der verschiedenen Datendimensionen in der Regel sehr viel größer - in dem genannten Beispiel besteht die Denormalisierte Darstellung in der Tat aus vier Maschinen, auf denen die Daten geshardet abgelegt werden und jede dieser vier Maschinen hat ihre Daten auf zwei SSD in einer RAID-0 Konfiguration.

Die Schreibraten sind insbesondere im Fall einer kompletten Neugenerierung des denormalisierten Bestandes so groß, daß MySQL 5.5 nicht mithalten kann.

MySQL 5.6 hat verschiedene Lockingprobleme im InnoDB Kern gelöst und kann Redo-Logs größer als 4 GB handhaben. Dadurch kann auf dem oben erwähnten SSD-Setup eine dauerhafte pro Instanz Schreibrate von 150 MB/sec netto (also auf Datenbankseite) erreicht werden, sodaß das ganze System recht entspannt auf eine aggregierte dauerhafte Schreibrate von 600 MB/sec kommt.

Natürlich ist eine solche Schreibrate zu hoch als daß MySQL Replikation noch mithalten könnte. Man kann dann anfangen, das Schema auf einer Maschine in unabhängige Subschemata zu unterteilen und mit MySQL 5.6 Parallel Replication herum zu experimentieren. Aber wenn man den Code sowieso anfassen muß, dann kann man auch stattdessen in den Queue Workern einfach parallel auf mehrere Instanzen direkt schreiben und Replikation komplett umgehen.

Die denormalisierte Darstellung ist in unserem Fall geeignet, eine bestimmte Klasse von Abfragen um Größenordnungen zu beschleunigen und - noch wichtiger - bestimmte pathologische Arten von Abfragen genau so schnell auszuführen wie normale Abfragen. Outlier in der Systemleistung werden also eliminiert, eine bestimmte Sorte von Slow Query tritt nie mehr auf.

Anekdote: Leider ist MySQL 5.6 noch nicht GA und eine der von uns getesteten Versionen hat einen Crash Bug gehabt, den wir zuverlässig triggern konnten. Um das zu debuggen brauchten wir einen Core Dump. Einen 200 GB Core-Dump auf SSD zu schreiben dauert ca. 15 Minuten. Die Redo-Log Recovery von 25-aus-32 GB Redo-Log dauert dann weitere 45 Minuten, nach denen die Datenbank dann wieder produktiv ist.

Anekdote: Während der Entwicklung haben wir die Generierung sehr oft komplett durchlaufen lassen müssen. Dabei haben wir die volle Schreibrate der SSD tatsächlich über Wochen voll ausgenutzt und uns ist tatsächlich in zwei Kisten die SSD durchgebrannt. Wir haben schon gewitzelt, daß HP Server bauen muß, wo hinten auf so einer Rutsche neue Platten nachrutschen, wenn die aktive SSD als ausgebrannt erkannt wird. Dann kann man per Rechenzentrum einen Heizer haben wie auf einer Dampflok, nur daß der Platten schaufelt statt Kohlen.

Im Wirkbetrieb normalisiert sich das dann recht schnell auf sinnvolle erwartete Lebensdauern.

Graph: SSD Lifetime

Erwartete Lebensdauern für die SSD in einem Beispielrechner.

TL;DR: Durch Denormalisierung lassen sich Daten read-optimiert speichern, was bei Webanwendungen oft sinnvoll ist. Die führende Darstellung sollte jedoch normalisiert sein, wenn man an seinen Daten hängt. Denormalisierung kann Datenmengen explodieren lassen und bei großen Datenmengen und hohem Churn massiven Hardwareeinsatz erfordern. In diesem Fall führt man die Materialisierung besser außerhalb der Datenbank durch.

Die architekturellen Kosten dieses Ansatzes sind Update-Verzögerung und eine hohe Schreibrate, die bestimmte Technologien wie MySQL Replikation unattraktiv machen kann.

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