Sam spielt es noch einmal: Das Lied vom Urheberrecht

Wolfgang Michal schreibt auf carta.info: Kleine Anfrage an die Kritiker des geistigen Eigentums das übliche Zeugs. Das heißt, er zieht sich an dem Begriff “Geistiges Eigentum” hoch und schlägt vor, daß die Gegner des Kampfbegriffes “Geistiges Eigentum” auch das dingliche Eigentum gleich mit abschaffen, wegen weil.
Die Diskussion und die Argumente sind nicht neu, wir finden sie auch im hinteren Teil der Diskussion mit Lena Falkenhagen im November , die ich seinerzeit in Nicht das Urheberrecht ist das Kernthema zusammengefaßt habe. Sicherheitshalber hat Marcel Weiss die Standardantwort auf diese Standardfrage noch einmal aufgeschrieben, denn manchmal braucht auch einer wie Wolfgang Michael einmal eine FAQ an die Birne geknallt.
Eben Lena Falkenhagen greift nun den “Kleine Anfrage”-Artikel in Google Plus noch einmal auf, nachdem Andreas Eschbach sie darauf aufmerksam gemacht hat, und Andreas Eschbach diskutiert dort auch mit.
Das wäre nicht weiter interessant, denn diese Richtung der Diskussion geht, wie wir in Nicht das Urheberrecht ist das Kernthema und dem Nachtrag dazu etabliert haben, vollkommen am Kern des Problems vorbei. Der “Blechpirat” Karsten greift das auf:
Ich finde den Artikel eher schwach. Konkret geht er auch an der Sache vorbei. Zu Rechtfertigen, warum man den juristischen Fachbegriff “Eigentum” gerne falsch auf das Urheberrecht anwenden möchte, hilft doch keinen - letztlich wird damit doch nur Propaganda gerechtfertigt. Spannend ist doch viel mehr die Frage, wie man mit der neuen Technik umgeht, wie man mit der Kopierbarkeit (auch juristisch) umgeht und wie man dann noch mit Denken, Schreiben, Malen und Musizieren noch Geld verdienen kann, wenn diese Technik vollständig da ist. Und da versagt der Artikel. Er bleibt (langweilige und nicht besonders gut geschriebene) Polemik.
und Christian Buggedei hat schon auf carta.info nachgesetzt gehabt:
Es gibt viele Dinge, bei denen man die “Das ist Technik, das geht halt so und nicht anders” nicht hinnehmen muss. Da kann man neue, bessere Technik konstruieren, da kann man Verbote aussprechen und sie auch kontrollieren.
Dieses eine Ding – Inhalte kopieren – ist leider eine Ausnahme. Wenn wir dieses wirksam kontrollieren und einschränken wollen, müssen wir das Internet so wie es ist abschaffen. Komplett. Eigene, spontan erstellte Seiten und Dienste wird es nicht mehr geben, jeglicher Kommunikationsvorgang muss überwacht und kontrolliert werden. Alles andere wird fast sofort umgangen werden.
Er holt dann noch weiter aus und zeichnet auch einen sinnvollen Ausblick auf - aber lest seinen Kommentar halt selbst, ich warte hier so lange.
Aber Andreas Eschbach hat noch Fragen:
Ich weiß nicht, wieso sich alle immer so an dieser “beliebigen Reproduzierbarkeit” aufhängen. Wieso denn? Was ändert denn das?
und wir erklären es ihm - es geht nicht wirklich um das Kopieren, und seinen Blick darauf zu fixieren verstellt einem die Sicht auf das Ganze. Es geht um die Kommunikation von Leuten miteinander, und wie das die Strukturen im Markt ändert. Die Kopierbarkeit rundet das Ganze nur ab. Ich formuliere das so:
Was die neue, digitale Natur von Werken ändert hatte ich in der vorherigen Instanz dieser Debatte schon einmal aufgemalt:
Nicht das Urheberrecht ist das Kernthema
“Dann ist da aber auch die Verminderung des Aufwandes und die Verkürzung der Publishing Pipeline: Jeder, der schreiben will, kann nun schreiben. Ob er gelesen wird ist noch einmal eine andere Sache - aber es gibt nichts und niemanden mehr, das jemandem vom Schreiben abhalten kann. Und so gibt es neben den Werken, die Du und Deinesgleichen für Geld produzieren nun haufenweise anderes Zeugs - frei erhältlich an Orten wie Wattpad oder einer der Tausend anderen Story Communities im Web. Gegen diese Leute und deren Preise treten Autoren für Geld nun an.” und in den folgenden Absätzen des o.a. Artikels länger ausgeführt.
Es ist nicht das Urheberrecht das Problem, sondern es sind mehrere Mechanismen am Werk, die strukturelle Dinge ändern:
- Weil Kopien machbar sind werden sie gemacht. Das ist auch nicht zu verhindern, ohne daß etwas ganz schreckliches entsteht, daß niemand von uns will.
- Weil jeder sich und seine Werke publizieren kann, fragmentiert der Markt. Dazu kommt, daß viele ihre Werke kostenlos oder zu sehr niedrigen Kosten publizieren. Dadurch entsteht ein Race to the bottom.
- Weil jeder sich publizieren kann, und die publizierten Werke teilweise Fragmente sind, die dann wieder weiter verarbeitet werden, ist Urheberschaft teilweise ein schwer feststellbares Konzept.
Zu 3: Besonders ausgeprägt im Bereich der Programmentwicklung, teilweise aber auch bei der Texterstellung - kollaborative Systeme dienen dazu, kleinste Beiträge von Einzelpersonen zu einem Gesamtwerk zu aggregieren. Fast alle moderne Werkentstehung arbeitet auf diese Weise, und wo das gelingt, haben Einzelpersonen kaum noch eine Chance. Dazu kann ich auf Anfrage mehr schreiben (Nachtrag ) redet da schon teilweise drüber).
Über das Urheberrecht zu diskutieren geht am Kern des Problems vorbei. Das versuche ich mit meiner Frage nach dem Wunsch-Urheberrecht in Richtung Lena Falkenhagen und Andreas Eschbach ja zu illustrieren - es würde mich wundern, wenn eine sinnvolle Antwort käme, denn IMHO gibt es keine - auch in [Von einem Absturz, Tutus und einem neuen Urheberrecht]({& link _posts/2011-11-24-von-einem-absturz-tutus-und-einem-neuen-urheberrecht.md %}) habe ich keine Antwort bekommen.
Die Frage ist ja schon falsch.
und Karsten geht noch einmal auf die Eigentumsgleichsetzung ein, um die Erklärung zu komplettieren:
Mein gedanklicher Ansatz ist ein anderer: Eine Eigentumsordnung wie die unsere ist bisher auf die Verwaltung von Knappheit ausgelegt. Wenn es nur einen Apfel gibt, dann ist es fair, dass der einer konkreten Person zugeordnet wird - sie kann entscheiden, was mit dem Apfel passiert.
Sind Äpfel aber beliebig reproduzierbar, erscheint es unfair, wenn nur einer über sie entscheidet, der andere aber hungrig stirbt.
Mir ist klar, dass niemand stirbt, weil er ein digitales Werk nicht erhält. Aber der Gedanke der exklusiven Zuordnung erhält seine moralische Rechtfertigung in der Knappheit des Gutes.
Gerade deshalb wollen die Urheberrechtsverschärfer (wie der im Originalposting genannte [Wolfgang Michal]) ja unbedingt Urheberrecht und Eigentum gleichsetzen - um die moralische Legitimierung des Begriffes Eigentum für ihr Anliegen ausnutzen zu können.
Mir ist klar, dass meine Gedankengänge jetzt das von Lena Falkenhagen angesprochene Problem (wie wird der Künstler bezahlt) nicht lösen. Aber die künstliche Verknappung des Gutes durch Gesetz und technische Lösungen scheint keine praktikable Lösung zu sein. Das Gesetz kann nicht erfolgreich durchgesetzt werden, wenn die Mehrheit der Unterworfenen es für ungerecht befindet - das geht einfach nicht, ist 1000mal probiert worden und scheitert. Und die technischen Ansätze scheinen auch zu scheitern.
An dem Konzept der Rechtsdurchsetzung knabbert man im weiteren Verlauf der Diskussion noch weiter herum. Es werden Vergleiche mit roten Ampeln und mit Mördern gezogen, aber man kommt nicht so richtig weiter. Oder doch? Lena:
Christian Buggedei, ich halte die Argumentation für unfair und sehr gefährlich. Nur weil alle Leute über die rote Ampel gehen, heißt es noch nicht, dass das erlaubt wäre.
Ich bin auch kein Freund von jahrelangen Gefängnisstrafen für private Raubkopierer, aber wenn “das macht doch jeder” gelten würde, wäre Mord im Affekt an der Ehefrau und ihrem Geliebten immer noch ein Ehrendelikt.
Ich weiß, dass ich gerade polemisch werde, aber am Urheberrecht ist so nichts auszusetzen. Es schützt meine Rechte als Autorin, die ich mir in langer, harter Arbeit verdient habe. Die Durchsetzbarkeit gerät ins Wanken, da stimme ich zu.
Daher müssen neue Wege gefunden werden, Urheber (jeglicher schöpferischer Werke) zu gratifizieren. Sonst sind (geraten) 90% der weltweit beliebtesten Unterhaltungsprodukte, an denen momentan einfach so partizipiert wird, “weil man es kann”, nicht mehr möglich.
Doch, man kommt weiter. Denn Christian läßt sich von der fruchtlosen Diskussion nicht blenden, und geht auf den entscheidenden Punkt ein:
Lena Falkenhagen: “Daher müssen neue Wege gefunden werden, Urheber (jeglicher schöpferischer Werke) zu gratifizieren. Sonst sind (geraten) 90% der weltweit beliebtesten Unterhaltungsprodukte, an denen momentan einfach so partizipiert wird, “weil man es kann”, nicht mehr möglich.”
Genau.
Nochmal: Genau.
Genau das ist es, was “wir” die ganze Zeit sagen: Es geht nicht darum, diealten Einkommenswege zu zementieren, sondern neue zu erschließen. Am Horizont sehen wir da diverse Wege, gerade wenn zB die Inhalte an begehrenswerte physische Artefakte wie “schöner Druck”, “schöne Packung”, oder “Sammlerfigur” gebunden sind. (wobei sich das mit 3d-Printing auch wieder ändern könnte), es gibt offensichtlich ebenso die Bereitschaft für einen besonders einfachen Zugang zu zahlen, oder Modelle wie Flattr, Kickstarter und Co., und und und. Wie Kristian Köhntopp sagte, ist dabei das Urheberrecht allerdings das kleinste Problem.
Ich habe persönlich nur die Befürchtung, dass wir das Urherberrecht dennoch erst schleifen müssen, bevor der Druck, diese neuen Modelle ernsthaft auszuprobieren, in der Breite ankommt.
Andreas Eschbach ist weiter skeptisch:
»Jetzt schaue ich mir mal meine Umgebung an. Gefühlte 97% davon ist der Ansicht, dass das freie Kopieren von Zeugs für Privatpersonen zwar illegal, aber nicht sonderlich moralisch verwerflich ist.«
Das wäre bis jetzt der einzige Ansatzpunkt, der mir einfällt: Dass man durch entsprechende Aufklärungsarbeit das Verständnis dafür weckt, welches Kopieren okay ist (für den Eigengebrauch, bislang “Privatkopie” genannt) und welches nicht okay ist (Buch einscannen und stolz sein, wenn’s 5000 Leute runtergeladen haben, ehe die Datei in Usbekistan vom Server geschmissen wird). Man tritt ja auch keine Hunde mit Füßen und schnappt nicht alten Omas den Sitzplatz weg und man bescheißt im Restaurant nicht usw. – alles weitgehend freiwillig aus dem Bewusstsein heraus, “es wäre nicht okay”.
Das ist allerdings viel Arbeit, wenn ich dran denke, wie viele Mails ich schon gekriegt habe von Leuten, die mir Sachen schreiben wie “ich hab mir alle Ihre Romane besorgt (bei ebay), weil ich finde, man muss einen Autor unterstützen” … :-(
und schließt mit der Betrachtung
“Wenn man hier nicht aufpasst, wird ganz schnell eine andere Art von Knappheit entstehen, nämlich eine an wirklich neuen Schöpfungen.”
Aber da unterschätzt Andreas Eschbach wahrscheinlich seine Leser und Kunden. Denn es existieren jede Menge Gegenbeispiele, die zeigen, daß genau diese Aufklärungsarbeit bei den Lesern offene Türen einrennen würde. Christian Buggedei ist jedenfalls, wie ich, genau dieser Auffassung:
Ich weiss ehrlich gesagt gar nicht, ob diese Arbeit nötig ist. Denn die prinzipielle Bereitschaft, den Autoren, Musikern, Filmemachern etc. die man gut findet, Geld zu geben ist ja da. Es “fehlt” wohl nur der Wille, das über die althergebrachten Kanäle zu tun.
und ich führe länger aus:
Ich könnte an dieser Stelle den Brockhaus und den Britannica-Verlag erwähnen, die da andere Dinge berichten können. Ich könnte die ganzen Projekte aus den oben erwähnten Blogbeiträgen von mir noch einmal aufzählen. Oder ich könnte auf meine eigenen Arbeiten verweisen, die zwar keine Geschichten erzählen, aber von einer Reihe von Leuten als Ausbildungsmaterial gerne verwendet werden.
Stattdessen will ich nur auf die Artikelserie von Heiko Harthun verweisen: “Projekt: Eben nicht schwarzer März!”. Es steht unter dem Motto: »Anstatt sich einem absoluten Boykott der Verwertungsindustrie anzuschließen, wäre ein deutlich erfolgversprechenderer Weg, die Stand-Alone-Projekte und fairen Kleinstverwerter zu belohnen. Das wichtigste daran, es so vielen Leuten mitzuteilen. Deshalb hier jetzt den ganzen März lang jeden Tag eine neue Empfehlung.«
Am Ende des Monats wirst Du so 31 Beispiele haben, die zeigen, daß keine Knappheit an wirklich neuen Schöpfungen herrschen wird. Stattdessen, das zeigen diese Beispiele, verändert sich die Art und Weise wie Schöpfer von Werken an eine Finanzierung kommen, oder es ändern sich die Motive, aus denen diese Personen Werke schaffen.
Es handelt sich eben genau nicht um eine Krise des Urheberrechts an sich, sondern um einen Strukturwandel im Schaffensprozeß, der durch eine neue Art der Werkverbreitung und durch eine neue Art der Kommunikation ausgelöst wird. Daher ist das Ganze auch nicht im Urheberrecht zu reparieren, sondern nur durch eine Anpassung an diese neuen Strukturen.
Christian Buggedei ist begeistert und will nun Nägel mit Köpfen machen. Er fordert Andreas Eschbach und Lena Falkenhagen heraus:
Zum Thema Zahlbereitschaft: Wie wäre es mit einer Wette?
Wir starten gemeinsam ein Kickstarter Projekt. Du, und hoffentlich ein paar andere Autoren (ich schau zum Beispiel einfach auch mal Lena Falkenhagen an) sagt mir, was Ihr für an Geld braucht/wollt um je eine Kurzgeschichte zu schreiben. Da schlagen wir dann einen Betrag für Lektorat, Zusammenstellung, Artwork, Buchhaltung etc drauf und stellen das als Projekt dem Internet vor.
Wenn dann der Gesamtbetrag zusammenkommt, schreibt Ihr die Geschichten, werdet bezahlt und wir veröffentlichen das unter CC by-nc-sa sowohl gedruckt als auch kaufbar und kostenlos in den gängigen eBook-Formaten. Ich würde mich nicht wundern, wenn das Geld nicht innerhalb eines Monats zusammenkommen würde und dennoch danach regelmäßig die Kurzgeschichtensammlung gekauft wird.
Leider kneift Andreas Eschbach:
Grundsätzliches zu der Wette: Man muss bei solchen Sachen unterscheiden zwischen dem Erfolg aufgrund des Eventcharakters, so etwas als einer der Ersten zu machen, was ein Anreiz für viele sein kann, mitzumachen, und dem Erfolg aufgrund eines funktionierenden Konzeptes, das auch auf Dauer und für viele funktionieren kann: Von Letzterem bin ich schwer zu überzeugen.
(Das wird immer übersehen von denen, die ankommen mit von wegen “Cory Doctorow stellt seine Bücher frei ins Netz und verkauft sie trotzdem”: Was bei 1 funktioniert, muss noch lange nicht bei allen funktionieren und funktioniert auch nicht bei allen.)
Persönliches zu der Wette: Würde meinen Verleger unnötig nervös machen, wenn ich bei so etwas mitmachte, und das will ich ihm nicht antun. :-D
Das mit dem einmaligen Eventcharacter stimmt so übrigens nicht, merkt Christian Buggedei an:
Sowas und ähnliches funktioniert auf Dauer und für viele. Alexandra Erin, Fred Gallagher, Scott Kurtz, Jeffrey T. Darlington, die Jungs von Penny Arcade, Rich Burlew, Ryan Sohmer… um nur ein paar zu nennen. Cory ist sicherlich derjenige, der das am meisten weitererzählt und propagiert, aber er ist nicht der einzige.
Und Heiko Harthun hat noch mehr Beispiele:
Durch meine erste Berührung mit einem Kindle und jetzt mit der App für mein Tablet hat sich mein Leseverhalten grundlegend verändert. Ich kaufe haufenweise eBooks für kleines Geld und kaufe ausschließlich die Gebundene Ausgabe eines eBooks, wenn es mir gefällt. Taschenbücher sind bei mir damit “nahezu” ausgestorben. Warum nur “nahezu”? Ich gehe sogar den umgekehrten Weg. Ein eBook, dass gar nicht auf Papier zu haben ist, habe ich mir jetzt als Book on Demand (etwas veraltete Idee, die gerade totgeglaubt, wiederbelebt wird) bestellt.
Das alles hat primär nichts mit dem Urheberrecht zu tun, sondern mit sterbenden und sich schnell verändernden Geschäftsmodellen. Und was die mühsame Argumentation mit dem “Die Massen zahlen doch nicht für etwas, was sie umsonst kriegen können!” angeht: lassen wir einfach ein Beispiel von Neil Gaiman für sich sprechen.
Es gibt noch mehr davon, die alle ganz deutlich widerlegen, was wir alle glauben. Wir glauben, dass jemand lieber nimmt anstatt zu geben, wir glauben das jemand nicht für ein Produkt bezahlt, wenn er es auch umsonst bekommen kann.
Dieser Glaube basiert auf unserer Intuition. Menschliche Intuition funktioniert nicht! Menschliche Intuition ist broken bei Design! Jedes, aber auch wirklich jedes Wissenschaftliche und sogar nur rein statistische Modell schlägt die Intuition! Jedes!
Relevant: Dan Pink on Motivation
“Intuition sucks! That’s why we test!” ist ein sich langsam etablierendes Dogma in der IT-Welt. Die Firmen, die verstanden haben, dass sie mit einer einzigen Website eine Spielwiese haben, von der Statistikern seit Jahrhunderten geträumt haben - diese Firmen sind schneller, effektiver und stabiler als ihre Konkurrenz. Warum sind sie das? Weil sie keine Annahmen mehr über die Welt und wie sie funktioniert machen, weil sie nicht mehr auf ihre Intuition vertrauen, sondern weil sie eine Idee sofort einem validen Test unterziehen.
Kristian Köhntopp wird euch sicher gerne näheres dazu vermitteln können.
Kann ich. :-) Und Christian Buggedei macht noch auf eine weitere Sache aufmerksam: Niedrige Preise machen experimentierfreudiger.
Und in den Laden gehen, aussuchen, bezahlen? Mache ich und all die anderen anonymen Amazoniker schon seit langem nicht mehr. Stattdessen bauen wir auf die vielfältigen Empfehlungsnetzwerke, die wir uns aufgebaut haben und surfen dann den ebookshop oder den legalen Downloadbereich unseres Vertrauens an. Dass die Investition von nicht mal eine Handvoll Dollar in ein eBook weniger schmerzhaft als die 30 Euro für ein schön gebundenes Hardcover ist, tut sein übriges: Man wird wesentlich experimentierfreudiger, selbst wenn es sich um augenscheinlich eher unbekannte Autoren handelt.
Und langsam scheint auch Andreas Eschbach das Ausmaß der Veränderung zu begreifen:
»Aber Leute mit guten Inhalten und ein wenig Fanpflege bei der Stange zu halten? Das funktioniert prächtig. Nicht von selbst, nicht ohne da ein wenig Zeit zu investieren, aber es funktioniert.«
Vielleicht sieht so das Modell der Zukunft aus: Auf der einen Seite der Autor, der sich aufs Schreiben konzentriert, auf der anderen sein Internet-Manager, der die Fan-Basis pflegt, die beide alimentiert. Verlage gibt’s keine mehr, Buchhandlungen sind alle verschwunden, entlassene Buchhändler schreiben stattdessen Rezis in eigenen Blogs und in Social Networks (und leben von … hmm, muss man noch klären), und das Feuilleton gibt’s auch nicht mehr, da die Zeitungen auch zugemacht haben.
Schon ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Christian Buggedei schiebt noch ein bischen:
Change happens. Dreh doch mal kurz Deinen SF-Autor Hut mehr von Autor auf SF: Wir leben in interessanten Zeiten, wo wir der gesellschaftlichen Veränderung auf wirklich großer Ebene zusehen und sie beeinflussen können. Nur aufhalten können wir sie nicht.
Und ich hoffe, dass Du verstehst, dass eigentlich alle Teilnehmer hier in der Diskussion genuin daran interessiert sind, Autoren, Musikern, Filmemachern etc. Geld zukommen zu lassen. Wir sind auf Eurer Seite, haben nur andere Ansichten darüber, wie man das am besten bewerkstelligt. Und so gruselig finde ich das Autor - Internet-Manager Team übrigens gar nicht. Im Gegenteil: “Früher” hat der Künstler für seinen Mäzen gearbeitet, und war dessen Launen ausgeliefert. Heute ist man an den Verlag gebunden, der dann sicherlich auch häufig gern mal “hilfreiche” Anregungen dazu gibt, was man denn als nächstes machen “sollte”.
In Zukunft kann man sich vielleicht über die globalen Netzwerke direkt an das Nischenpublikum wenden, dass einen für genau das liebt, was man macht - ohne Kompromisse eingehen zu müssen.
Und Andreas Eschbach dreht seinen Hut und fragt weiter:
Mal abgesehen von den Künstlern: Die Prognose für den Buchhandel im speziellen und den Einzelhandel im allgemeinen sind schlecht, oder? Gibt’s irgendwelche Ideen, wie Leute, die bislang in diesen Branchen gearbeitet haben, künftig das Geld verdienen werden, mit dem sie (abgesehen von Miete, Heizung, Lebensmitteln usw.) per Crowdsourcing Kunst unterstützen können?
Ich zücke mein Blog, denn ich habe da schon mal was vorbereitet. Es zitiert übrigens Eschbach:
Axel Eble - Ich verweise hier wieder mal auf Götz Werner und das Bedingungslose Grundeinkommen. Kristian Köhntopp - Zum Thema BGE, wo das Geld herkommen könnte und was das mit Andreas Eschbach zu tun hat, siehe auch The pursuit of happiness .
Arbeit leisten bei uns seit 1980 oder so im wesentlichen Maschinen. Ihre Erträge werden effektiv kaum besteuert.
Dieses Geld, das bei Arbeitslöhnen in den gesellschaftlichen Umlauf geraten wäre, liegt nun bei einigen wenigen fest.
Das BGE, und zu seiner Finanzierung eine entsprechende Besteuerung von Unternehmensgewinnen aus Maschinenarbeit, die einer Lohnsteuer vergleichbar (und genau so wenig entkommbar) ist, wären ein brauchbarer Mechanismus, um den GINI Index in sinnvolle Bereiche zurück zu drücken und so unsere Gesellschaft als Solidargemeinschaft zu stabilisieren - und das wäre auch und gerade für die Besitzenden von großem Wert.
Heiko Harthun greift den Gedanken mit der weiter reichenden Transformation auf - die Veränderung ergreift ja nicht nur Buch- und Einzelhändler, sondern jede Form von kommerziellem Austausch. Er schreibt:
Supermärkte: http://www.kochhaus.de/
Zutaten sind nach Rezepten sortiert, es gibt Bildtafeln mit der Rezeptanleitung zu kaufen oder per Download im Internet. Die Zutaten können auch per Internet, zur Lieferung, bestellt werden. Geniales Konzept, dass ich in Berlin vielen leuten empfohlen habe, die behauptet haben nicht kochen zu können.
Buchhandel/Künstler: Ebay, Amazon und Dawanda sind Plattformen, die es Mikro- und Makrohändlern unglaublich einfach machen, ihre Kunden zu erreichen.
http://www.massivum.de ist ein Möbelhandel, der sowohl Verkaufhäuser hat, einen Webshop, als auch einen Ebay- und Amazonshop. Das geniale an deren Konzept ist, sie verteilen Ihre Angebote (einigermassen) Zielpublikumsgerecht. Auf Ebay finden sich andere Angebote als bei Amazon.
- http://storytude.com/
- http://www.eichelschwein.de
- http://www.meinekleinefarm.org
- http://prinzessinnengarten.net
Ich höre jetzt besser auf, sonst wird das hier noch seitenlang. Der Punkt ist jedenfalls, dass es eine Unmenge an Ideen und Geschäftsmodellen gibt, die den herkömmlichen Einzelhandel aufbrechen und eben mit der Veränderung gehen und daran partizipieren.
Bemerkenswert. Autoren und Kunden in einem Thread um eines der emotionalsten Themen in dieser Konstellation, und alle bleiben über mehr als 100 Beiträge bei der Sache, und es wird Fortschritt in der Diskussion erzielt. Am Ende sind sogar sich annähernde Positionen erkennbar.
Danke, Google Plus.