Recht auf Vergeben

isotopp image Kristian Köhntopp -
March 1, 2012
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Unser Innenminister diskutiert das “Recht auf Vergessen ” im Spiegel Online und benutzt dort wieder Worte komisch. Ich habe das in Vergeben, vergessen und vernichten schon mal angesprochen.

Die entsprechenden Diskussion auf Google Plus war interessant, denn der Text erschien einem Teilnehmer dort als ’erstaunlich reflektierter Text'.

Ich teile diese Ansicht und zugleich auch nicht, denn es ist der Sprachgebrauch von “Vergessen”, der hier die Sicht auf die Dinge verstellt.

Ja, Friedrichs Gedanken sind sinnvoll in dem Sinne, daß ein “Recht auf Vergessen” so wie es zuvor in der Politik diskutiert worden ist, extrem schädlich wäre (denn inhaltlich war das ein Recht auf Vernichtung).

Nein, die Nomenklatur ist krude, siehe Vergeben, vergessen und vernichten .

Inhaltlich verlangt er nun in seinem Text eigentlich ein Recht auf Vergebung.

Das ist aber auch Unsinn, denn Vergebung ist kein Recht, sondern eine - im Wortsinn - Gnade. Sie wird gewährt, nicht gefordert.

Am Ende landet man bei Eric Schmidt :

During an interview which aired on December 3, 2009, on the CNBC documentary “Inside the Mind of Google”, Schmidt was asked, “People are treating Google like their most trusted friend. Should they be?”

His reply was: “I think judgment matters. If you have something that you don’t want anyone to know, maybe you shouldn’t be doing it in the first place, but if you really need that kind of privacy, the reality is that search engines including Google do retain this information for some time, and it’s important to remember, for example, that we are all subject in the United States to the Patriot Act. It is possible that that information could be made available to the authorities.”

Man beachte die Hervorhebung - das ist der Teil, der normalerweise zitiert wird. Der größere Kontext ist hier zur korrekten Interpretation zwingend notwendig.

Dennoch ist es von dort nur ein kleiner Schritt zur Spackeria , die im wesentlichen sagt:

  1. Die Welt ist so, das ist eine Eigenschaft der Technik und Gesetze werden da nur kosmetisch was dran tun.
  2. Jeder wird mal was tun, “that they shouldn’t be doing in the first place” und daher werden wir alle gut daran tun, zu lernen, zu vergeben und anzuerkennen, daß wir alle lernen und uns weiter entwickeln und das Netz das zum Teil ungewollt dokumentiert.

Auch Friedrich wird am Ende dort landen, ist aber zumindest öffentlich noch nicht so weit, d.h. sein Publikum ist definitiv noch nicht so weit.

Ich formuliere es in dem Text zur Spackeria so:

Auf eine Weise ist das genau der Punkt, bei dem es um radikale gegenseitige Transparenz vs. radikale Privacy geht. Die einen sagen: “Indem wir alle gegenseitig Offenlegen, haben wir die Möglichkeit zu erkennen, daß wir alle nicht immer perfekt sind, und wir haben die Wahl, daran entweder zu wachsen und bessere Menschen zu werden, oder zu lernen einander zu vergeben.” (Das ist Schmidt)

Die anderen sagen: “Das ist eine gefährliche Utopie und mir zu risikoreich, ich will da nicht mitmachen.” (Das sind die, die sich über Schmidt aufregen)

Und die Technik sagt: “Ich funktionier halt so, ihr könnt gerne unrealistische Annahmen machen, mir egal. Das tut es halt mehr weh, wenn ihr lernt.” (Das ist McNealy)

Insofern halte ich mich aus der Diskussion raus - McNealy hat Recht, und es ist nicht notwendig, ungefragt viel dazu zu sagen, wenn ich schon vorher sehen kann, welche Erfahrungen alle im Laufe der Zeit machen werden.

Und lebe mein Spacko-Leben: Ich persönlich habe auch mein ganzes Leben lang sehr positive Erfahrungen damit gemacht, mich zu publizieren.

Mir ist klar, daß ich als jemand, der von der Arbeit mit Technik lebt, nicht umhin kann, eine kilometerbreite Datenspur über diesen Planeten zu legen, wenn ich in der Lage sein will, meinen Job gut zu machen. Das Beste, was ich tun kann, ist das Highlight auf diesen Daten so zu setzen und die Interpretationen meiner Daten anzulegen, daß sie ein positives Licht auf mich als Person werfen.

In diesem Sinne bin ich ein Post-Privacy-Spacko. Schon immer gewesen: auch dann, wenn ich mich nicht an der Diskussion beteilige und auch damals, als es den Begriff noch nicht gab, habe ich wie einer gelebt - leben müssen. Und halte Popcorn bereit.

und stelle fest, daß Friedrich da eben einen großen Schritt in die vorhergesagte Richtung getan hat.

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