Die NOMIC-Spieler

Douglas Hofstadter erwähnt in seinem Megamagicum das Spiel Nomic von Peter Suber (The paradox of self-amendment ).
Bei Nomic geht es darum, die Regeln eines Spiels regelkonform so zu ändern, daß man gewinnt. Das Spiel ist also total selbstbezüglich und es gibt nichts im Spiel außer den Regeln des Spiels selber, das wichtig ist - auch wenn der gerade aktive Regelsatz zu einem Zeitpunkt das möglicherweise verschleiert.
“Nomic” ist auch ein failure mode von Diskurs- und Diskussionsystemen.
Dabei geht es den NOMIC-Spielern um zwei Dinge: Zum einen darum, die Regeln der Gemeinschaft so zu verändern, daß ihr Standpunkt oder ihre Gruppe favorisiert wird, und zum anderen durch laufende Metadiskussion konkrete themenbezogene Arbeit lahmzulegen und den Gegner zu zermürben, weil es dieser Gruppe opportun erscheint, den Status Quo beizubehalten und Veränderungen zu verzögern. Oder einfach um den Teilnehmerkreis der Diskussion auf Leute zu verengen, die hauptamtlich Gremienarbeit machen wollen - das kann aus vielerlei Gründen ein politisches Ziel einer Gruppe sein (Siehe auch Meta is murder ).
Typische Beispiele für diese Art des herbeigeführten Systsemversagens sind Admin-Gruppen im (speziell auch deutschsprachigen) USENET, zunehmend die Piratenpartei und - durchaus absichtlich so konstruiert - die EIDG .
In meinem Folienset zum Thema Flames versuche ich zu erklären, was genau der failure mode “Flame” in einem Onlineforum ist und wie er entsteht. Ich behaupte, daß man eine Onlinekultur erschaffen kann, die Flames verhindert und in konstruktives Verhalten umwandeln kann. In einem offenen System wie dem USENET fehlen repressive Instrumente und man muß ausschließlich positiv und appellativ arbeiten. Das erscheint anfangs mühsam, ist aber eine Form von respektbasierter Kommunikation (im Gegensatz zu angstbasierter Kommunikation), und daher weitaus nachhaltiger.
Ich zeige an zwei Beispielen, de.comp.lang.php und de.rec.spiele.rpg.misc zwei Methoden zur Organisation einer Community. Beide Verfahren basieren auf der Bildung einer FAQ zur Bildung von Erinnerungsvermögen und zur Kondensation eines Satzes von Regeln und Erkenntnissen der Gemeinschaft und damit zur Bildung von Referenzpunkten. Um diese Referenzpunkte herum bilden sich Mechanismen, an denen Neulinge akzeptables Verhalten lernen können und an denen die Gemeinschaft ihre Verhaltensnormen weiterentwickelt.
An einem dritten Beispiel de.talk.bizarre zeige ich, wie eine kleine Gruppe mit guter Kommunikation (“Der Hohe Rath Der Dreizehn Weisen Vom Feed” und “Die Allianz Wieder Den Hohen Rath” als deren scheinbarer Gegner, in Wahrheit eine zweite Marke des Rathes) und dem Willen zu disruptiver Kommunikation (“Online Performance Art”) einerseits die Themen eines Diskussionsforums dominieren kann, andererseits lange Zeit mit einer rein oralen Tradition Leute integrieren kann (“Wahrheitsfindung ohne Wahrheitsnennung”) und wie eine solche Gruppe NOMIC-Spieler in anderen Gruppen durch offensive Mißachtung oder Parodie von etablierten Marken und Prozessen ineffektiv machen kann (“Out-of-area Einsätze”, Scheitern des rmgroup de.talk.bizarre mit der Begründung “Das wollen die doch genau erreichen”). Ähnliche Methoden werden in Teilen des aktuellen politischen Diskurses eingesetzt, wenn ein Mißbrauch von Institutionen festgestellt wird (Apfelfront , Storch Heinar , aber auch Die PARTEI ).
Diese dritte Methode funktioniert gegen NOMIC-Spieler, weil sie die Versuche der NOMIC-Spieler, Zeit und Aufwand zu binden und Spaß aufzufressen ignoriert, die Zermürbung also negiert, und die Bemühungen der betreffenden Personen lächerlich macht.
In sehr großen Communities wie etwa Stack Overflow sind rein appellative Systeme oft nicht mehr ausreichend. Einmal binden sie unökonomisch viel Aufwand auf der Seite des Community-Managements, zum anderen ist je mehr Personen die Community umfaßt die Wahrscheinlichkeit um so größer, daß sich dort auch pathologische Persönlichkeiten einfinden, bei denen jeder rein appellative Ansatz aussichtslos ist. Jeff Atwood diskutiert in Suspension, Ban or Hellban? (auch die Kommentare lesen und den Links folgen!) Methoden, die bei zentralistisch gesteuerten Foren eingesetzt werden können, um den Fokus zu erhalten und zu verhindern, daß unerwünschte Meme in der Gemeinschaft Fuß fassen können.
Zusätzlich zu diesen repressiven Mechanismen setzen solche Systeme auch positive Mechanismen ein - sie haben ein Reputationssystem , das Privilegien und Powers auf der Site graduell freischaltet. Doch auch solche Mechanismen ziehen Spieler an, in diesem Fall keine NOMIC-Spieler, sondern Gamer . Das sind Personen, die an einem solchen System teilnehmen um der Belohnungen oder der Dritteffekte, die so ein Status haben kann willen, wenn das eigentliche Ziel war, Inhalte und konstruktive Interaktion zwischen Personen zu fördern.
Auch wenn Gamer nicht aktiv destruktiv sein müssen, so gibt es doch Erkenntnisse, die zeigen, daß sie Bias generieren, und daß Feedback aus solchen Bewertungssystemen generell die Qualität der Diskussion negativ beeinflußt (Original Paper ), weil so ein Feedback Gamer erzeugt.
Die Frage ist, ob und wie sich Techniken aus diesem Repertoire der Community-Steuerung auf den politischen Diskurs anwenden lassen ohne ihn zu zerstören oder Bias zu erzeugen. Tarzun reagierte auf meinen Link zum Hellban-Artikel mit
und daraus entspann sich der folgende Dialog:
- @isotopp : Ich bin mir ziemlich sicher, daß diese Methoden in politischen Diskussionen keinen legitimen Platz haben.
- @tarzun : Och, für ML und Foren fänd ich das schon sinnvoll. “Echte” Politik findet da eh nicht statt, dazu gibt es ja LiquidFeedback hust
- @tarzun : Piraten sind aktuell eh mehr Community denn Partei. Aber das wird Twitter zu lang. Ich muß mal wieder bloggen.
- @isotopp : Die Frage ist, wie man Moderation bewirken kann, die Trolle von politischen Gegnern trennt und das transparent genug hinbekommt.
- @isotopp : Ziel muß sein, Zeitsenken zu eliminieren, aber kein Tool zu bauen, das politische Gegner mundtot machen kann.
- @isotopp : Ich sehe nicht, wie das gehen kann.
- @tarzun : Läuft wohl auf “community driven” hellbans hinaus, wo (echte) Trolle wirklich in jedem Killfile landen. Aber es ist schwer, ja.
- @isotopp : Nein. Entweder es ist wirksam. Dann killt eine Majority Minority Opinions.
- @isotopp : Oder es ist nicht wirksam. Dann benutzen es nur Überengagierte mit guter Systemkenntnis -> also Trolle.
- @tarzun : Hmm. In einer liquiden Orga könnte man die “Moderationsmacht” per “Delegation” vergeben und bei Mißbrauch entziehen.
Die Frage ist also, wie kann man die Diskussions- und Arbeitskultur der Piratenpartei sanieren und entgiften, so daß man den Piratenerosionszähler (Begriff von @tarzun ) zum Stoppen bekommen kann.