Facebook oder was?

Aus recht offensichtlichen Gründen halten sich eine ganze Menge sozialer Netzwerke mehr und mehr für Facebook. Das heißt, sie versuchen da so einen Strom von Statusupdates zu bauen und da dann irgendwelche “Mehrwerte” mit rein zu mischen.
Der Grund dafür ist aus der Sicht der Betreiber der Dienste recht offensichtlich: Die Währungen für Werbung sind Anzahl der Unique User pro Tag und die Anzahl der Minuten pro Tag pro User auf der Site. Facebook hat dort unglaublich astronomische Werte, weil die Site konsequent so angelegt ist, daß die User sich regelmäßig einloggen und dann auch dort bleiben. Haupt-Treiber sind Spiele und Chat: Die Spiele sorgen dafür, daß die Benutzer laufend wieder zurückkommen und ihre Kuh klicken . Und der Chat sorgt dafür, daß die User laufend eine Facebook-Seite offen haben, auf der sie im Chat erreichbar sind.
Sites, deren Fokus auf Bewerbungen und Lebensläufen liegt, haben da keinen Stich: So oft wechseln die meisten Leute ihren Job halt nicht. Das macht sich dann in den Minutenstatistiken der Werbeverkäufer nicht so gut - aber man sollte sich trösten: Es ist es nicht so, daß ich oder sonst irgendjemand auf Facebook irgendwas machen würde, was wichtig ist oder Geld bedeutet. Das passiert anderswo. Klar bin ich bei weitem kein Standardnutzer (0 Facebooks Apps, tendenz sinkend), aber ich nutze die verschiedenen Netzwerke zu unterschiedlichen Zwecken und ich bin immer leicht genervt, wenn wieder irgendein Social Network CEO in Panik meint, er müsse seinen Laden in Facebook verwandeln.
Andererseits ist es so, daß diese anderen Social Networks wegen ihrer Facebook-Fixation den Wert ihrer Daten und den wahren Zweck ihres Daseins nicht erkennen können und daher verzweifelt auf ihren Daten sitzen, anstatt damit etwas Sinnvolles zu tun.
Da ist zum Beispiel Xing. Xing ist ein “Business Netzwerk”, also eine Sammlung von Kontaktadressen, verdateten Lebensläufen und Empfehlungsschreiben. Trotzdem hat es nicht nur ungefähr Jahrzehnte gedauert, bis man die Adressdaten seiner Kontakte mal herunterladen und in ein lokales Adressbuch importieren konnte, sondern die ursprüngliche Xing-App für Android kam zum Beispiel ohne Adressbuch-synchronisieren-Funktion heraus. Noch heute ist diese Funktion nicht etwa als Android-Sync-Conduit realisiert und über das normale Setup zu erreichen, sondern Bestandteil der Xing-App mit einem eigenen, inkompatiblen User-Interface.
Mit den Lebensläufen in Xing kann man genau gar nichts anfangen: Xing propagiert kein standardisiertes Austauschformat für Lebensläufe und es ist nicht so, daß man als Xing-User etwa eine digitale Bewerbung an die Personalabteilung einer Firma schießen könnte, die ein Xing-Profil hat. Die Funktion für Empfehlungsschreiben/Referenzen war als externe Anwendung realisiert, hatte die Daten des Lebenslaufes einmal aus Xing importiert und sie dann nie wieder aktualisiert - keine Ahnung, ob das inzwischen behoben ist, ich habe nach diesem Ultrafail das Interesse an der Funktion verloren.
Xing-Connect ist ein U-Boot Projekt und wird auch jetzt immer noch nicht von Xing richtig unterstützt (Und web.de versucht nicht mal, Login-Anbieter zu sein).
Daß die meisten Xing-Anwender mit der Freigabe von Kontaktdaten in Xing ein
wenig sparsam sind, kann man dem Betreiber nicht wirklich anlasten.
Deutschland leidet da unter dem Streetview-Effekt: Größter
SpannerNutzer in Streetview sind die Deutschen, und die
größten Schreihälse betreffend Verpixelung sind sie auch. In etwa das kann
man auch bei der Freigabe von Kontaktdaten beobachten.
Xing anlasten kann man dagegen das Fehlen einer Massenänderungsfunktion oder das Fehlen einer Funktion zur Definition von Gruppen und Profilen: Wenn man sich nachträglich entscheidet, etwa allen Kontakten seine Skype-Adresse freigeben zu wollen, dann ist es sehr nervig, sich durch alle 624 Kontakte zu klicken und bei jedem die entsprechende Freigabe zu erteilen. Wie schön wäre es, hätte man eine Funktion zur Definition von Gruppen (“Arbeit”, “Familie”, “Idioten”) und könnte dann jeder Gruppe ein Datenprofil (“Skype ja, Business-Telefon ja, privat nicht”) zuweisen. Und über die Gruppe “Alle” global ändern, statt sich die Maus blutig zu klicken.
Plaxo leistet sehr ähnliches wie Xing hinsichtlich seiner Eigenschaft als Adressbuch - für Android-User im Gegensatz zu iPhone und Blackberry aber nur für Plaxo Premium-User, weil diese Funktion bei Android das Google Contacts Sync benötigt, und das wiederum nur im Plaxo Premium Paket enthalten ist. Schade, Plaxo, wär schön gewesen, wenn Du nützlich gewesen wärest.
LinkedIn - tja, den Sinn dieser Site habe ich noch nicht ganz verstanden. Wie Xing auch versendet LinkedIn keine elektronischen Bewerbungen und Lebensläufe. Die meisten Leute haben da auch keine sinnvollen Adressdaten drin, die ich zweckmäßigerweise auf das Telefon synchronisieren könnte. Und auch LinkedIn hält sich inzwischen wie Xing für Facebook und kackt mir mit einer Timeline den Bildschirm zu, wenn ich stattdessen doch nur arbeiten möchte.
Das kaputteste Konzept hat Empire Avenue , denn hier kann man sinnlos Zeit damit versenken , wertlose Anteile an anderen Personen zu kaufen und sein “Portfolio” zu managen, um dann virtuelle Vergleiche imaginärer Schwänze durchzuführen.
Vielleicht sollten einige der Betreiber dieser Netzwerkdinger einmal anhalten, sich überlegen, was der von ihnen angestrebte Mehrwert ist und dann ihren Mist dahin gehend optimieren, daß sie diesen Mehrwert auch wirklich abliefern - und auf der Site klar ansagen, was sie sein wollen und was nicht.
Noch ein Facebook brauch ich jedenfalls nicht.