Fertig gelesen: Daemon, Freedom™

isotopp image Kristian Köhntopp -
May 8, 2011
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“Daemon” german , english , Daniel Suarez, EUR 9.90, 640 Seiten

“Freedom™” german , english , Daniel Suarez, EUR 9.99, 480 Seiten

Suarez: Daemon

Als ich Daemon in die Hand bekam, hatte ich ein bischen Angst vor dem Dan Brown Effekt - von Digital Fortress konnte ich nur die ersten 10 Seiten oder so lesen, bevor ich den sinnlosen Technobabble nicht mehr ertragen habe. “Rotating Plaintext Cipher” my ass - und ich bin da nicht allein lese ich. Der Klappentext des Buches hilft dabei auch kein Stück.

Nun ist Daemon sicher kein Buch, das gut altern wird. Dazu ist es technisch viel zu konkret. Aber zu meiner grenzenlosen Verwunderung ist die Technik in dem Buch zwar übertrieben leistungsfähig (immerhin ist es ein Zukunftsroman), aber korrekt oder wenigstens sinnvoll. Das Buch strengt meine SoD nicht sehr an.

Wie dem auch sei: Daemon ist schnell erzählt. Der stinkreiche Spieledesigner Matthew Sobol stirbt, und sein Erbe aktiviert eine Maschinerie, die er geschaffen hat und die eine zunächst sinnlos erscheinende Kette von Ereignissen in Gang setzt. Sobol hinterläßt den Daemon, ein verteiltes System von Software-Agenten, die auf vordefinierte Ereignisse in den Medien reagieren und Folgeaktionen auslösen. Wie sich herausstellt, ist die Aufgabe des Daemons zunächst, sich Geld, Technologie und Menschen anzueignen und sich so natürliche Intelligenz und realweltliche Machtmittel zu verschaffen. Gegen Ende des Buches stellt sich heraus, daß der Daemon eine Gegengesellschaft zur existierenden Gesellschaft erschafft, die auf Vernetzung und angewandter Spieltheorie und Spieldesign basiert.

In “Daemon” wird die Freisetzung des Daemons beschrieben, und wie sich dadurch die Schicksale einiger Protagonisten miteinander verknüpfen. Der Scifi-Aspekt der Geschichte konzentriert sich dabei ganz klar auf die Legitimierung und Entwicklung der Technik des Daemons und die Etablierung seiner Machtbasis.

Suarez: Darknet

Der zweite Teil, Freedom™, schwenkt dann von technischer Science-Fiction auf Gesellschaft und Gesellschaftskritik um, und bringt es dabei fertig, weitaus besser und wahrscheinlich auch haltbarer zu werden. Suarez liefert hier eine Art aktualisierte Version des Shockwave Riders ab.

Der Schockwellenreiter von John Brunner ist ein Buch von 1975 und einer der visonärsten Science Fiction-Romane aller Zeiten. Er nimmt eine ganze Menge moderner Konzepte vorweg zu einer Zeit, in der die meisten Menschen noch nicht einmal einen Computer hatten oder gar von Computern wußten - ein weltumspannendes Datennetz, der Computer-“Wurm”, Crowdsourcing und Zukunftsvorhersage durch Crowdsourcing, Burnout (“Overload”) und den Mißbrauch von Psychopharmaka, Identitätsdiebstahl und die Unterwanderung wirtschaftlicher und staatlicher Organisationen durch das organisierte Verbrechen sowie das Konzept des Datenschutzes (genauer: Seine Pervertierung - denn im Schockwellenreiter haben nur Firmen und Angehörige der korrupten herrschenden Klasse Privacy und mißbrauchen diese um ihre Machenschaften zu verschleiern). Und Wikileaks, auf eine seltsame Weise.

Brunner: Shockwave Rider

Aber wo der Schockwellenreiter - notgedrungen - visionär bleibt oder große Sprünge macht, um die lästigen Details auszusparen, da malt Freedom™ das Bild weitaus detaillierter aus. Teilweise so detailliert, daß man glaubt, unter dem Aufdruck “Roman” auf dem Cover ein hastig übermaltes “Manifest” erkennen zu können.

Und so läuft eine direkte Linie von Naomi Klein zu David Brin und von Eisenhower zu Wikinomics und zu MakerBots, mit dem Schockwellenreiter und seinem Update, Freedom™. ungefähr an der Kreuzung dieser Linien.

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