Vokabeln für Netzneutralität

isotopp image Kristian Köhntopp -
August 5, 2010
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Dies ist Teil 1, Teil 2 gibt es auch noch.

Die Diskussion über Netzneutralität erreicht nun endlich auch Deutschland, auch wenn Deutschland als Internetstandort für ein Industrieland bemerkenswert schwach bewertet wird. Auslöser sind dabei nicht die Bemerkungen der Telekom zum Thema, sondern die Arbeiten von Google und dem Provider Verizon an etwas, das einmal Netzwerkneutralität definieren soll (aber in den ersten Berichten dazu für einen Deal zwischen Verizon und Google gehalten worden ist, der Google gegenüber anderen Anbietern bevorzugt hätte).

Geeinigt hat man sich dabei darauf, für das Festnetz Netzwerkneutralität zu garantieren (“Google and Verizon’s agreement would prevent Verizon from offering paid prioritization to the biggest bidders of capacity on its DSL and fiber networks”), aber auf dem Mobilfunknetzwerk werde man eingreifen (“But any promises over open-Internet access wouldn’t apply to mobile phones”). Eingriffe sollen dabei nicht auf Benutzerbasis, sondern auf der Basis von Traffic-Klassen geschehen, was immer das in diesem Fall im Detail bedeutet.

Es ist auf jeden Fall ein schwerer Rückschlag für Netzneutralität, da der Ansatz die Regulierung von Knappheit gegenüber der Schaffung von Überfluß bevorzugt.

Worum geht es?

Netwerkneutralität im Allgemeinen dreht sich um das zentrale Konstruktionsprinzip des Internet, daß Netzwerk selbst ‘dumm’ zu halten und die ‘Intelligenz’ in den Endpunkten des Netzes zu installieren.

Genauer gesagt: Das Netz selbst soll nur eine Sache machen, und die dafür richtig - nämlich Datenpakete von A nach B routen. Daten sind Schüttgut und das Netz analysiert die Daten nicht, um sie zu unterscheiden und dann unterschiedlich zu behandeln. Das Netz bringt auch keine Dienste außer der Beförderungsdienstleistung für die Daten, sondern Dienste sind in Endknoten installiert.

Das ist eine Informatiker-Idee und die Antithese zum Intelligenten Netz -Ansatz der Fernmeldetechniker-Denkschule, bei der das Netz Dienste und Güteklassen implementiert.

Betriebswirtschaftler mögen die Idee des dummen Netzes nicht so, denn sie erlaubt es ihnen nicht, ‘Dienste differenziert zu bepreisen ’ (Und das ist eine Goldgrube ). Damit einher geht meist der Wunsch, kostengünstigere Alternativen zu blockieren .

Ein Argument gegen Netzwerkneutralität, das von Mobilnetzbetreibern oft gebracht wird, ist das Datenvolumen.

Volumen: 5GB sind 5GB, egal was man rein tut

Das ist die absolute Menge an Daten, die in einem Abrechnungszeitraum (pro Monat, pro Tag) transferiert wird. Heutige mobile Datenverträge heißen zwar oft “Flatrate”, sind aber keine, sondern sind tatsächlich Volumenpakete, da sie genau dieses Volumen begrenzen (200 MB, 1GB oder 5GB pro Monat sind häufige Stückelungen). Da Verbraucher jedoch ihren tatsächlichen Verbrauch pro Monat nicht kennen und nicht beurteilen können, verkauft man ihnen “Flat S, M, L und XL”. Wären es wirklich Flatrates, also all-you-can-eat Angebote, wäre eine S/M/L/XL-Differenzierung sinnlos.

“Flat” sind diese Verträge bestenfalls in dem Sinne, daß viele von ihnen bei Erreichen des Volumenlimits nicht ganz abriegeln, sondern noch einen Tröpfelbetrieb mit sehr stark limitierter Bandbreite erlauben. Das reicht meist immerhin noch für Chat.

Weitere Einschränkungen von Flatrates ergeben sich meist in der Art, daß Diensteinschränkungen existieren, und zwar wird besonders gerne der Betrieb von VoIP-Anwendungen und insbesondere Skype verboten.

Als Begründung wird dabei oft die Datenmenge vorgeschoben, aber das ist natürlich zweifach Unsinn:

Solange ich mich in dem mit dem Vertrag gekauften Datenvolumen bewege dürfte es in einem dummen Netz den Netzbetreiber nicht interessieren, welcher Art die Daten sind, die das Volumen machen. Und zweitens überträgt Skype Voice-Daten, genau wie ein Mobilfunknetz, und insbesondere Skype für Mobiltelefone verwendet dabei einen Codec, der den Codecs von GSM-Mobilfunknetzen ebenbürtig oder besser ist. Skype macht also eher weniger Verkehr im Netz als ein normales Telefongespräch gleicher Länge.

Tethering: 5 GB sind 5 GB, egal wer den Traffic macht

Die andere Beschränkung bei Volumenverträgen bezieht sich auf das Endgerät, das vorgeschrieben werden soll: So darf eine Flat-Volumentarif oft mit einem Mobiltelefon verwendet werden, mit einem hinter dem Mobiltelefon angeschlossenen Computer (“Tethering”, “Anketten” eines Computers an das Telefon) aber nicht, als ob 5 GB von einem Laptop mehr Last erzeugen würden als 5 GB von einem Mobiltelefon.

Die Annahme ist eine andere:

Der Netzbetreiber spekuliert, daß ein Anwender mit einem Mobiltelefon sein Kontingent eher nicht ausschöpft, während das bei einem Benutzer an einem Laptop wahrscheinlicher ist, da das Mobiltelefon langsamer ist, einen kleineren Bildschirm und eine schlechtere Eingabemöglichkeit hat. Spätestens seit Arm A4 1GHz Prozessoren und iPads mit 64GB Speicher, Bluetooth Tastatur und 1024x768 ist diese Annahme aber hinfällig - die meisten Netbooks und viele ältere Laptops sind schlechter ausgestattet.

Bandbreite und Volumen

Die zweite Vokabel, um die es geht, ist Datenübertragungsrate in Bit pro Sekunde (umgangssprachlich Bandbreite). Das Volumen, das man mit einer Flat erworben hat, wird ja nicht über den Abrechnungszeitraum gleichmäßig abgerufen, sondern die durch den Teilnehmer generierte Auslastung variiert mit seiner Netznutzung (dem Bandbreiten-Bedarf) und dem Netzausbau an seinem Standort (der Bandbreiten-Verfügbarkeit) und den Anforderungen anderer Netzteilnehmer in seinem Netzabschnitt (der Konkurrenz um die Bandbreite).

Um ein Gefühl für Bandbreiten zu bekommen:

Verfügbarkeit: Ein GSM-Channel stellt dabei eine Bandbreite von ca. 14 kBit/s zur Verfügung, von denen bei Datenverkehr etwa 9.6 kBit/s verwendet werden können, EDGE dann zwischen 56 kBit/s und 220 kBit/s. 3G (UMTS) ist liefert bis zu 384 kBits im Download, als HSDPA dann bis zu 14400 kBit/s (viele Telefone erlauben nur bis zu 7200 kBit/s). ISDN erzeugt 64 kBit/s, DSL dann zwischen 1000 und 16000 kBit/s.

Verbrauch: Ein VoIP- oder Skype-Telefonat mit einem Mobilfunk-Codec verbraucht zwischen 6 und 40 kBit/s. Ein MP3 abzuspielen verbraucht zwischen 128 und 256 kBit/s. Ein Skype-Videotelefonat verbraucht zwischen 240 und 400 kBit/s.

Nicht zeitkritische Dienste können ihre Nutzung nach belieben verteilen: Ein Download wird langsamer oder schneller, je nachdem, welche Bandbreite im Netz verfügbar ist, aber ihm ist es im wesentlichen egal, ob es mal langsamer wird, da ein Download nicht zerbröselt wie ein Video- oder Audiocall.

Asynchron, Synchron, Isochron und warum das alles?

Das bringt uns zu den nächsten Begriffen, nämlich Asynchronizität (oder Hintergrundtransfer) und Synchronizität bzw. Isochronizität (oder interaktiver Nutzung) und QoS (Quality Of Service). Einem asynchronen Netznutzer ist es im Wesentlichen egal, welche Bandbreite ihm zur Verfügung steht, solange er nur sein Volumen irgendwie durch bekommt.

Einem synchronen Netznutzer ist das nicht egal - er möchte gerne eine gewisse Bandbreiten-Zusicherung haben, also eine Mindest-Datenrate in kBit/s - eine Video- oder Audio-Anwendung zum Beispiel würde sonst lästig stocken und hakeln.

Wenn er außerdem ein billiges Endgerät ohne Puffer ist oder sehr interaktiv operiert (also etwa eine interaktive Spielanwendung ist), dann will er wahrscheinlich Isochronizität, also eine garantierte Mindest-Datenrate und außerdem einen gleichmäßigen Abstand zwischen den eintreffenden Datenpaketen - also keinen Jitter. Und bei den Spielern auch sehr gerne eine definierte, minimale Laufzeit der Pakete von A nach B und zurück, einen ‘guten Ping’, denn es bringt ja nix, wenn man an seinem Rechner den Abzug an einem virtuellen Gewehr drückt und es dann auf dem Server erst Stunden später knallt.

QoS und Deep Packet Inspection

TCP/IP kennt für diesen Zweck tatsächlich eine Dienstedifferenzierung in den Paketen des IP-Headers, die Quality Of Service Bits, und viele Router werten diese heutzutage tatsächlich aus. Darum geht es den Netzbetreibern aber eher nicht, denn das wäre ja eine QoS, die durch den Anwender kontrollierbar wäre. Die Netzbetreiber wollen stattdessen in die Pakete in Echtzeit hineingucken, den Inhalt und verwendeten Dienst analysieren und dann ohne Einwirkung oder Kontrolle des Nutzers klassifizieren, wie sie es für richtig halten.

Wenn man so etwas macht, also in die Paketdaten selbst hineinsieht und den Datenstrom analysiert, dann macht man Deep Packet Inspection (DPI). Das ist eigentlich eine Technik aus dem Firewall-Bereich, die dann später auch für QoS-Anwendungen abgewandelt worden ist. Noch einen Schritt weiter geht Phorm , ursprünglich ein Firmenname, der aber inzwischen mit dem Produkt synonym geworden ist. Dabei verwendet man DPI, um die Inhalte des Datenverkehrs zu analysieren, Werbebanner zu selektieren und dann manipuliert man die von einem Server heruntergeladenen Daten so, daß man seine Werbebanner dort in den Datenstrom hinein fälscht ( Phorm Schaubild (SVG)). Überraschenderweise ist das in vielen Ländern so nicht legal.

Netzneutralität kann durch QoS horizontal (quer zu allen Benutzern) aufgebrochen werden. Verlangt man die Authentisierung von Benutzern (durch Login, durch den elektronischen Personalausweis oder mit anderen Mitteln) und bindet man außerdem die Benutzeridentität an die Pakete, dann kann man Dienste außerdem vertikal (entlang Benutzeridentitäten) aufbrechen. Etwa kann man Jugendschutz implementieren, indem man in jedem Datenpaket (fälschungssicher) das Altersmerkmal des Benutzers mit transportiert. Oder man baut dort die völkerrechtliche und gegenwärtige Jurisdiktion (‘Der Benutzer ist ein Deutscher in Dubai’) ein, und beschränkt so die Verfügbarkeit von Video- und Audiomaterial analog zu Regioncodes. Oder man generiert gleich ein pseudonymes, verkettbares Benutzermerkmal (‘Benutzer fe3d-ccdd-3321-37fe, zum 412. Mal hier’) und sammelt die anderen Informationen dann entlang des Weges ein (‘Vermutlich männlich, Umsatz bisher, an Glücksspielen interessiert, besonders Poker, Anzeigen mit Fetischeinschlag haben eine 1.4 mal bessere Conversion als solche mit normalen Frauen, …’).

Der Punkt ist, daß insbesondere vertikale, personenbezogene Aspekte der Netzneutralität auch Fragen des Jugendschutzes, des Urheber- und Lizenzrechtes und des Werbegeschäftes berühren, sowie viele andere Privacy-Probleme nach sich ziehen.

Technisch ist es so, daß Informatiker QoS als ein Problem sehen, daß man nur hat, wenn man nicht genug Bandbreite bereitstellt - QoS greift nur, wenn es zu momentanen oder dauerhaften Netzwerkengpässen kommt und man dann bei den Opfern Triage machen muß.

Kapazität im Netz, und die letzte Meile

Das sollte, so die Informatiker, nicht auftreten - insbesondere im Festnetz nicht: Wenn man eine Dark Fiber, eine Glasfaser hat, dann kann man da einen Laser dran stecken und die Faser ausleuchten. Das erzeugt dann 10 GBit/s (10 000 Mbit/s, 10 000 000 kBit/s), die man da auf Anhieb durchblasen kann. Wenn das nicht reicht, stellt man einen weiteren Laser mit einer anderen Farbe daneben und verdoppelt die Bandbreite und so weiter - das kann man relativ oft machen, je nach Faser und Leitungslänge. Kosten entstehen dabei kaum - ein solcher Laser ist zwar absolut gesehen teuer, aber im Vergleich zu den Verlegekosten für das Kabel gratis, und daher ist die Aufrüstung der Leitung bei Auslastung auch extrem kostengünstig.

Wenn sich also die Informatiker von Google mit den Nachrichtentechnikern von Verizon unterhalten, dann ist beiden Seiten klar, daß die Betriebswirtschaftler von Verizon zwar gerne Dienste differenzieren möchten, es aber im Festnetz auch bei großer Anstrengung keinen denkbaren Grund dafür geben kann. Darum sichert also Verizon im Festnetz unbedingte Netzwerkneutralität zu.

Mobilnetze als Hebel gegen die Netzneutralität

In mobilen Netzen ist es sehr schwer Vorhersagen zu machen, weil die Bedingungen sehr unterschiedlich sind. Sie hängen nicht nur von der Position der Leute und der Basisstationen ab, sondern auch davon, wie viele Leute pro Zelle was machen wollen. Daher kann es - egal wie sehr man die Kapazitäten ausbaut - bei Zusammenballungen von Leuten immer zu Bandbreitenknappheit kommen. Zum Beispiel bricht unweigerlich auf jedem Chaos Communication Congress wie auf den meisten anderen großen Konferenzen das WLAN zusammen - das liegt nicht daran, daß die Leute vom Chaos weniger Ahnung von Netzwerken haben als Ihr mit Eurem WLAN daheim, oder daß die vielen bösen Hacker das Netz immer crashen lassen.

Sondern es liegt einfach daran, daß WLAN bei mehr als x Personen pro Zelle schlicht nicht mehr geht und man sich dann dringend ankabeln will. Oder, als Netzbetreiber, die Zellen kleiner machen und mehr Channels bereitstellen, also mehr APs mit weniger Leistung aufstellen und so die Anzahl der Personen pro AP reduzieren. Aber auch das geht nur bis zu einem gewissen Punkt, danach ist einfach Ende. Auch bei Mobilfunknetzen ist es so, und es ist tatsächlich so, daß etwa die Telekom an der Kieler Spiellinie zur Kieler Woche zusätzliche Container aufstellt, in denen GSM Mikrozellen gefahren werden, um mit der Handies tragenden Besuchermenge am Wasser fertig zu werden - bei x Kilometern mit ca. 3-4 Personen pro Quadratmetern ist das eine gute Idee, schon um Notruf-Fähigkeit für das Netz zu erhalten.

Weil bei mobilen Netzen immer mal Triage notwendig sein kann, haben die Google-Technikern den Verizon-Technikern hier weniger entgegen zu setzen, und so kommt es, daß sich Verizon in dem Vertrag zwischen den beiden Firmen für mobile Netze diese Hintertür schon aus technischen Gründen offen halten müssen. Jetzt kommt es darauf an, sicherzustellen, daß die Betriebswirtschaftler da nicht noch andere Dinge mit durch diese Lücke schmuggeln, also anfangen Dienste mit DPI horizontal oder vertikal zu differenzieren.

Artikel zum Thema Verizon/Google:

  • Bloomberg : Google, Verizon Said to Strike Deal on Web Traffic Rules

  • Heise Newsticker : Netzneutralität: Vorfahrt für Google-Dienste gegen Bezahlung?

  • Cnet News : Google’s Schmidt on Verizon and Net neutrality

  • Google stellt klar : 1. Wir bezahlen nichts für eine Vereinbarung mit Verizon. 2. Wir stehen weiter zu unseren Aussagen zu einem offenen Internet.

  • Originaldementi auf Twitter.

Die letzten beiden Artikel stellen noch einmal ausdrücklich klar, daß Verizon gegenüber Google für das Verizon Nicht-Mobilnetz noch einmal ausdrücklich die Netzwerkneutralität bestätigt - Google zahlt also nichts, und Verizon verpflichtet sich ausdrücklich, niemanden, auch nicht Google, in ihrem Netz zu bevorzugen oder zu behindern. Das ganze soll ein allgemeines Policy-Framework sein, zu dessen Einhaltung sich Netzbetreiber und Dienstanbieter verpflichten sollen:

Verizon has also moved to dismiss the story. A company statement reads: “The NYT article regarding conversations between Google and Verizon is mistaken. It fundamentally misunderstands our purpose. As we said in our earlier FCC filing, our goal is an internet policy framework that ensures openness and accountability, and incorporates specific FCC authority, while maintaining investment and innovation. To suggest this is a business arrangement between our companies is entirely incorrect.” – The Guardian Artikel

Weiter in Teil 2 .

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