Jugendschutzfilter saugen und dafür gibt es einen Grund

Heise newstickert: Bundesregierung sieht große Mängel bei Jugendschutz-Filtern . Ach!
Bislang habe keines der staatlich getesteten Jugendschutzprogramme, die Filterregeln für beispielsweise von Eltern zu installierender Schutzsoftware vorgeben, eine “akzeptable Wirksamkeit” entfaltet, schreibt der federführende Beauftragte für Kultur und Medien, Bernd Neumann, in seiner jetzt verfügbaren Antwort (PDF-Datei) auf eine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion. Zu viele zulässige Inhalte würden blockiert, und zu viele ungeeignete Angebote würden durchgelassen, schreibt der CDU-Politiker unter Berufung auf Tests im Prüflabor der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) bei der länderübergreifenden Stelle jugendschutz.net. Beide Mängel seien nicht wünschenswert.
Der Bericht hebt weiter darauf ab, daß die Anzahl der zu bewertenden Sites sehr groß sei und die Inhalte sich zum Teil recht schnell ändern würden. Eine automatische Klassifizierung von Inhalten funktioniere nicht, und daher wolle man eine Selbstklassifizierung der Anbieter erzwingen.
Eine Reflektion über die Situation und eine Ursachenforschung nach diesem Dilemma wird nirgendwo erwähnt. Das wäre aber nützlich:
Das erklärte Ziel solcher Sperrsoftware sei es, die “von aus jugendschützerischer Sicht ungeeigneten” Webseiten zu blockieren. Das ist als Missionsstatement natürlich falsch, denn dieses Ziel ist einfach zu erreichen:
Man sperrt einfach alle Internetseiten komplett.
Das korrekt formulierte Ziel ist es, die aus jugendschützerischer Sicht ungeeigneten Webseiten zu sperren und alle anderen zu erlauben.
Das wird auch weiter oben im Text zugegeben, denn dort wird unter anderem beklagt, daß zu viele zulässige Inhalte blockiert würden. So formuliert ist dieses Ziel aber weitaus schwieriger zu erreichen, weil man nun nicht mit einer kleineren Zahl von jugendgefährdenden Webseiten zu tun hat, sondern mit allen Webseiten, die es gibt. Insbesondere muß man nun Aussagen über nicht bewertete Webseiten machen.
Bei Filmen und Videospielen ist das einfach - ein Film oder ein Videospiel ohne Bewertung wird behandelt wie ‘frei ab 18’. Damit ist der Fall dort erledigt, denn ein Film oder ein Videospiel zu publizieren ist ein aufwendiger Akt und der Herausgeber des Mediums hat damit ein Interesse daran, sein Werk nicht nur bewerten zu lassen, sondern auch eine möglichst niedrige Bewertung zu erzielen, damit die Reichweite und damit die erzielbaren Gewinne möglichst maximal sind. Es gibt nur sehr wenige Filme und Videospiele, die nicht eine Jugendschutzbewertung haben.
Im Internet ist das anders: Im Internet kennt man sehr viel mehr Autoren und Werke, und die Kosten für die Erzeugung einer beliebigen Website sind minimal. Wenn Arbeitszeit kostenlos ist, das Werk also als Hobby erstellt wird, sind die Kosten für das Werk sogar Null. Damit fällt die Motivation für eine Reichweitenmaximierung weg:
Im Internet will ein Herausgeber nicht so viele Personen als möglich erreichen, sondern die richtigen: Gleichgesinnte oder Fans.
Nur bei großen, kommerziellen Sites sind auch Kunden die Zielgruppe. Darum ist die Motivation sein Werk bewerten zu lassen im Internet sehr viel geringer - ‘Mir doch egal, ob Jugendliche oder Kinder auf meine Site zugreifen können’ ist keine so ungewöhnliche Formulierung.
Selbst wenn jemand seine Site selbst bewertet oder bewerten läßt besteht das Problem, welche Bewertung man denn vergibt. Denn wenn man eine Site zu hoch bewertet - frei ab 18, obwohl sie frei ab 12 wäre - ist das folgenlos. Bewertet man sie anders herum falsch - frei ab 12, obwohl sie frei ab 18 wäre - ist das ein Problem. Als Hobbyist oder engagierte Privatperson ist man also nur dann auf der sicheren Seite, wenn man die Altersfreigabe für seine Site eher zu hoch ansetzt.
Die höchste Einstufung - frei ab 18 - bekommt man aber sowieso, wenn man gar nichts tut und seine Site nicht selbst bewertet. Warum also überhaupt etwas tun und ein rechtliches Risiko eingehen?
Die Folge ist, daß ein Klassifikationssystem für den Jugendschutz bei Webseiten nicht greift.
Versuche hat es viele gegeben, aber im Allgemeinen sind diese nicht erfolgreich gewesen in dem Sinne, daß sie eine Abdeckung hergestellt hätten. Einige kommerzielle Sites haben sich selbst bewertet oder bewerten lassen, aber die Masse der Sites eben aus den dargelegten Gründen nicht. Damit tritt bei einer Sperrung unbewerteter Sites in einem Filter noch immer die Situation aus dem Anfang ein - alle Sites sind gesperrt und der Jugendschutz ist hergestellt, indem man Kinder und Jugendliche aus dem Internet fernhält. Allenfalls ist ihnen ein Kindernet spezieller freigegebener, kommerzieller Sites zugänglich (‘Walled garden’). Das ist kaum geeignet, die von Erziehern gewünschte Medienkompetenz zu erzeugen.
Also die Experimente mit automatisierten Bewertungen nach formalen, syntaktischen Kritieren wie Wortfilter oder Rosa-Pixel-Zähler. Dazu heißt es in dem Artikel:
Wege der Fülle unzulässiger Inhalte im Internet kämen dabei neben redaktionellen auch automatische Klassifizierungsverfahren zum Einsatz. Diese sollten die Jugendschutzproblematik von Webseiten “an Hand bestimmter Muster erkennen”. Falsche Einordnungen seien beim derzeitigen Stand der Technik aber nicht zu vermeiden.
Das ist wenig überraschend. Die Klassifizierung einer Site nach Jugendgefährdung ist am Ende eben keine syntaktische, sondern eine semantische und moralische - es kommt nicht auf die verwendeten Worte an, sondern was mit ihnen gesagt wird und wie das zu bewerten ist. Würden solche automatisierten Filter tatsächlich zuverlässig funktionieren, hätten wir eine Maschine gebaut, die in der Lage ist, Texte zu verstehen und auf der Grundlage ihres Wissens von der Welt moralische Urteile über diese Texte fällen kann.
Wir hätten nicht nur das Problem der Maschinenintelligenz, sondern auch das Problem der Maschinenmoral gelöst und könnten als schöpferische Rasse beruhigt abtreten, weil wir den Funken des Geistes an eine uns nachfolgende Form der Existenz abgegeben haben.
Die Debatte über den Jugendschutz im Internet wird jedenfalls keinen Millimeter von der Stelle kommen, solange die kommerziellen Verhältnisse im Netz und wie die sich von denen in anderen Medien unterscheiden nicht einbezogen werden. Sie wird auch nicht von der Stelle kommen, solange nicht zugegeben und akzeptiert wird, daß Automatisierung in dieser Frage ein sinnloses Unterfangen ist.