Echte Helden

isotopp image Kristian Köhntopp -
September 7, 2007
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Man hat mich gebeten, auf den Kieler Linuxtagen am 7/8. September etwas salbungsvolles zum Thema 15 Jahre Linux zu erzählen. Und das etwas mit Kiel zu tun hat.

Damit bin ich offiziell ein alter Sack.

Sobald man gebeten wird, über Rückblicke zu referieren und von der guten alten Zeit zu schwelgen ist man offiziell ein alter Sack.

So die Sorte Typ, die von den Helden vergangener Zeiten erzählt. Für die Richard Dean Anderson noch McGyver war, der mit dem Taschenmesser in der Hand noch selber Leben rettete, und nicht Sesselpuper bei Stargate. Damals hatten Telefone noch Drehscheiben, und das Leben war generell noch viel härter und damals es brauchte noch echte Helden…

Einer der Helden aus grauer Vorzeit hier in Kiel war ja Cornelius. Das war ein ganz Harter. Der hat zum Frühstück 74LS00 gefressen, ohne Milch! Und damals gab es noch gar kein SMD. Jemand, der Fehler mit dem Oszilloskop debugged. So ein Typ, der gar kein Modem braucht, sondern den Carrier auch selber Pfeifen kann. Das Telefonnetz war damals, für die Jüngeren unter Euch, übrigens noch Analog.

Cornelius hat den Unix-Kram hier in Kiel mit aufgebracht. Ich war damals ja noch so ein Amiga-Kiddie und dachte, ich bin cool, weil ich Freunde hatte, die sich selber mit einem Frequenzzähler auf dem Adreßbus eine echte Megahertz-Anzeige gebaut hatten statt so ein Fake-Teil, das immer dieselbe Zahl anzeigte. Damals war so was noch einstellig, also so eine Megahertz-Anzeige, da ging so was mit dem Taschengeld.

Cornelius ist so die Sorte Typ, für die die Dateiendung “.c” für Configuration stand und “cc” für “Configuration Converter”. Ich glaube, Cornelius hat sich damals ein wenig darüber geärgert, daß sein Nachname mit “K” anfing und nicht mit “C”, denn so hatte er nicht die Initialen “cc” wie sein Compiler.

Cornelius hat damals jedenfalls die ersten Unix-Kisten eingeschleppt. Natürlich gab es so etwas damals nicht fertig, sonst hätte ihn das wohl auch nicht interessiert. In seinem Fall waren das stattdessen Commodore 900 mit Coherent 0.7.1 Special Binary Prerelease, Prototypen von Rechnern, die Commodore nie gebaut hat, weil sie selbst für Commo zu Scheiße waren. Das war mein erstes Unix.

Das Coherent war übrigens von Mark Willams Company. Die haben sonst so Flipperautomaten gebaut. Flipperautomaten sind, für die Jüngeren unter Euch, so analoge Videospiele mit echten Kugeln drin.

Cornelius lebt inzwischen übrigens in Texas. Wenn ich so drüber nachdenke paßt das schon, so irgendwie.

Ich hab dann später mit SCO Xenix weiter gemacht und so eine Mailbox geerbt. SCO, für die Jüngeren unter euch, waren damals noch die Guten. Damals gab es weniger Juristen und von Patentanwälten hatte noch nie jemand was gehört.

Geerbt habe ich sie von einem anderen echten Helden, von Jens. Jens war auch ein ganzer Kerl. Der hat die Grafikkarte in seinem Mega ST noch selbst gebaut, und auch den Treiber dafür selber geschrieben. Und die Mailbox-Software für seine Mailbox auch.

Jens braut inzwischen übrigens sein eigenes Bier. Das paßt auch so, irgendwie.

Xenix hatte so das Problem, daß da kein richtiges TCP/IP bei war. Das war kein Problem, solange man mit Modems und UUCP gearbeitet hat - wir hatten damals noch kein Online und auch kein X, sondern nur eine Kommandozeile. Will man X, braucht man Netz, so für localhost. Also mußte ein System V her, ein Interaktive Unix, von Kodak.

Jedenfalls, wenn man in so einem Interactive das TCP/IP in Betrieb nimmt, etwa weil man X machen will, und das localhost braucht, dann stellt man fest, daß so ein System V Kernel Memory Leaks hat und daß dann binnen einer Viertelstunde schon mal 500K Speicher voll laufen. Ein Kilobyte, für die Jüngeren unter Euch, ist übrigens ein Millionstel Gigabyte.

So stand ich also damals, ich weiß es noch wie heute, vor dem Problem, ein Unix her zu kriegen mit funktionierendem oder reparierbarem TCP/IP. Das war am 30. Dezember 1992, also vor etwa 15 Jahren, und das ist der Grund warum ich heute hier vorne stehe.

Ich bin damals also mit dem Fahrrad zur Uni geradelt. Bergauf, durch den Schnee. Schnee, für die Jüngeren unter Euch, ist gefrorenes Wasser. Damals hatten wir noch keine Klimakatastrophe. Ich hab mir dann einen Kernel und ein paar Sourcen auf ein Tape gezogen. Das Tape war ein sogenanntes Quarterinch Tape. Das bezieht sich nun nicht auf die Größe der Kassette, sondern die Breite des Bandes. Die Kassette war größer, so 10x7cm ungefähr, also wie ein Taschenbuch. Ein Buch, für die Jüngeren unter Euch, ist so was wie eine DVD, nur mit Text statt Bildern und ohne Strom. Das Tape jedenfalls, das hatte eine Rückwand aus massivem Stahl, 4mm dick. Cornelius stand tierisch auf solche Tapes.

Mit dem Linux auf dem Tape bin ich dann nach Hause geradelt, wieder durch den Schnee, natürlich, denn damals blieb so was noch liegen und natürlich auch wieder bergauf, denn damals ging es noch nicht bergab. Und hab mir den Kram compiliert und installiert. Danach hab ich dann erst mal die Permissions und Owner von dem Zeug richtig gesetzt, denn wir hatten damals noch keine Distributionen.

Und so kam es, daß ich am 31. Dezember 1992 mit einem SLS und einem Kernel 0.96.6 in das neue Jahr startete. Das war schon ziemlich cool. SLS war übrigens von Donald Becker. Der schreibt inzwischen übrigens Netzwerktreiber. Das paßt auch, irgendwie.

Endlich X. 640x480 in 256 Farben. Das war schon was. Man konnte seinen Monitor auch übertakten, dann ging mehr. Ein Monitor, für die Jüngeren unter Euch, das ist so eine Art analoges LCD, damals hatten wir noch kein DRM. Da ging so was noch mit dem Übertakten.

Naja, so fing das damals jedenfalls alles an. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Man kann sich bei so einem Vortrag schnell in die Technik versteigen, und wie geil Linux inzwischen so ist - es rennt auf einem Palm Pilot und einer Cray, auf einem iPod und auf einer Enterprise-Class Solaris Kiste oder einer SGI mit 1024 Prozessoren.

Aber wenn man sich Sagen aus Grauer Vorzeit so ansieht, dann geht es da weniger um die Monster, sondern im Grunde geht es um die Helden, und ihre Taten. So auch im Zusammenhang mit Linux und im Zusammenhang mit dem Universum als solches.

Also ist dies heute ein Vortrag über Helden und Heldentum.

Ein Held ist jemand, der einen Kampf aufnimmt, um die Welt zu verändern, einen Kampf der anfangs aussichtlos, ja sogar sinnlos erscheint. Manche Helden opfern sich, oder opfern persönliche Vorteile, um die Welt, oder das Universum als solches, für uns alle in einen besseren Ort zu verwandeln.

Der erste Held, um den es hier gegen soll, ist natürlich Linus Torvalds. Er ist ein Jedermann aus einer Gegend gar nicht weit von hier, ein Schwede in Finnland, ein Informatikstuent. Wer hier war schon mal in Schweden oder in Finnland? Wer hat Informatik studiert? Genau. Ihr hättet Linus sein können.

Linus hat sich also hingestellt, und sein Zeug ins Netz gekippt und gesagt: Hier ist mein Zeug und ich habe es in Netz gekippt, jetzt könnt ihr spielen. Wer hier hat schon mal Zeugs von sich ins Netz gekippt, damit andere spielen können? Genau. Ihr hättet Linus sein können.

Leute haben also Linus Zeugs genommen und damit gespielt, und es dabei besser hin gefummelt und - das ist der Trick - Linus ihr verbessertes Zeug zurückgegeben. Linus hat das also zusammengesetzt und wieder zurück ins Netz gekippt.

Eigentlich hat er also gar nicht viel gemacht.

Der entscheidende Punkt hier ist: Er hat es getan. Linus hat mit seinem Tun die Welt verändert. Also nicht bloß ein bisschen, sondern so richtig fundamental. Leute schreiben da Bücher drüber. Bill Gates paßt seine Geschäftsstrategie an. Linus hat Macht. Er ist hingegangen und hat gesagt: Das ist jetzt so, und dann war es so. Ein Informatikstudent aus Finnland, hier gleich um die Ecke.

Okay, Linus war nicht alleine. CREDITS in meinem Kernel listet alleine so an die 500 Leute, und das sind nur die, die es bis in diese Datei geschafft haben und das ist nur der Kernel.

Und das mit dem Zurückgeben und neu veröffentlichen ist auch nicht seine Idee. Diese Idee hatte ein anderer Held, Richard Stallman.

Stallman, ein weiterer Informatikstudent, wenn auch von weiter weg, ist also hingegangen und hatte dasselbe gemacht wie Linus, nur viel früher: Er hat Zeugs geschrieben, in seinem Fall ein Haufen ziemlich coole Editing Macros, “emacs”, für einen Editor, und die ins Netz gekippt und gesagt: Hier ist mein Zeug und ich habe es ins Netz gekippt, jetzt könnt ihr spielen.

Leute haben also Richards Zeug genommen und damit gespielt, und es dabei besser hin gefummelt und ein kommerzielles Produkt draus gemacht und - das ist der Fehler - Richard ihr verbessertes Zeug nicht zurückgegeben sondern gesagt: Ellabätsch, angeschissen, Du hast Zeug ins Netz gekippt und ich mach eine Firma draus.

Da war Richard natürlich sauer und hat sich überlegt, wie er die Welt verändern kann, oder gar das Universum als solches, um es für uns alle in einen besseren Ort zu verwandeln. Richard hat sich also hingesetzt und mal aufgeschrieben wie es sein soll, damit das mit dem “ins Netz kippen und spielen” besser funktioniert.

Damit das ganze juristisch wasserdicht wird ist das Ganze ein ziemlich langer Text geworden, aber im wesentlichen steht da drin: Du kannst Zeugs, das ich ins Netz gekippt habe, nehmen und dran rumbasteln und damit spielen. Aber wenn Du Dein verändertes Spielzeug nicht zum selber spielen verwendest, sondern Dritte damit spielen läßt, dann mußt Du denen (und damit effektiv uns allen) die Veränderungen geben, damit wir genau wie Du spielen können.

Also, mit anderen Worten, wenn wir Zeugs ins Netz kippen, damit Du spielen kannst, dann mußt Du, wenn Du das verbastelst Dein verbasteltes Zeug ebenfalls ins Netz kippen, damit wir genau wie Du weiter spielen können.

Simpel genug.

So simpel, daß ein Haufen Leute die Idee kopiert haben. Weil Richard hat das nicht nur auf seine Editing Macros angewendet, sondern er hat die Metaidee, also den Regelsatz, als solchen formuliert, da raus abstrahiert und auch ins Netz gekippt. Und ein Haufen Leute haben nicht nur seine Editing Macros genommen und damit gespielt, sondern haben ihr Spielzeug nach seinen Regeln ins Netz gekippt damit andere auch damit spielen können.

Okay, Stallman war also nicht alleine. Auf Sourceforge stehen tausende von Softwarepakete, aber letztendlich ist seine Idee, die GPL, als Lizenz bei der überwiegenden Mehrzahl aller Projekte gewählt. Es gibt einen Haufen Lizenzen, die zur Auswahl stehen, aber es ist die Lizenz von Stallman, die letztendlich die bestimmende Macht bei allen diesen Paketen ist. Es ist etwas an der GPL, das sie uns anderen Nichthelden attraktiver, fairer oder sonstwie besser erscheinen läßt.

Das kommt, weil die GPL eine Formulierung einer anderen, viel, viel älteren Idee ist. Diese Idee hatte ein anderer Held, Immanuel Kant.

Kant war ein Student der Philosophie, weil damals gab es noch keine Informatik, hat die GPL viel kürzer aufgeschrieben als Stallman, weil damals gab es auch weniger Juristen. Er sagte, etwas geschraubt, weil er Philosoph war: “Handle stets so, daß die Maxime Deines Handelns als Grundlage allgemeinen Handelns genommen werden kann.” und nannte das den kategorischen Imperativ.

Kant meint, das sei eine coole Idee, weil es die Welt und das Universum als solches automatisch in einen besseren Ort verwandelt.

Manche Leute heute formulieren Kant etwas weniger geschraubt als “Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu.” Das geht leicht von der Zunge und macht klar, wieso Kant der Meinung war, daß es die Welt und das Universum als solches in einen besseren Ort verwandelt, erklärt aber irgendwie gar nicht was das mit der GPL zu tun hat.

Wenn man da drüber nachdenkt, dann stellt man aber fest, daß man das noch anders formulieren kann: “Baue die Spielregeln einer Gemeinschaft stets so, also ob Du Dich an jeder Position in dieser Gemeinschaft, und sei es die niedrigste und schlechteste, befinden mögest.” In anderen Worten: Man stelle sich einmal vor, man sei, hmm, die kranke dunkelhäutige Frau eines fundamental-religiösen Hartz IV-Empfängers mit Migrationshintergrund mit einem behinderten Kind in einem Plattenbau in Sachsen - Deutschland funktioniert als Gemeinschaft, sagt Immanuel, wenn man sich selbst in dieser Situation vorstellen kann und das nicht schlimm wäre.

Okay, hat nix mit der GPL zu tun, aber illustriert das Gedankenmodell.

Anderes Beispiel: Man stelle sich einmal vor, man stellt einen Haufen cooler Editing Macros ins Netz und alle wollen die benutzen und dann macht einer ein paar Veränderungen dran, packt das ganze in eine Schachtel und fängt an das zu verkaufen und sagt mir, nein, an die Veränderungen kommst Du nicht dran, das ist jetzt alles proprietär.

Offensichtlich sind die Spielregeln kaputt. Immanuel hat also eine Metaregel aufgeschrieben, mit der man testen kann, ob ein Regelsatz heil oder kaputt ist: Nimm die Regeln, bau das Spielfeld auf und setz Dich selber an die letzte von allen Positionen. Magst Du dann noch spielen? Wenn nein, ist das Spiel im Eimer.

Richard hat nun diese Überlegung von Immanuel genommen und im Grunde nur Regeln aufgeschrieben, die nicht kaputt sind. Und Linus hat das dann mal durchgespielt. Okay. Und wir alle anderen auch. Das da sind ja auch nur Leute wie Du und ich.

Das ist mächtig gefährlich.

Weil es die Welt verändern kann, oder das Universum als solches, und in einen besseren Ort verwandeln. Und wenn die das können, dann können wir, also Du, Du und Du, das auch. Einfach so.

Also rechnen wir das doch mal durch, so wie ein Philosoph, Mathematiker oder Informatiker das tun würde.

Erst mal sind wir. Das ist unbestritten. Jedenfalls bin ich, das ist leicht zu testen - ich denke, also bin ich. Ob Ihr seid, ist nicht so leicht zu testen, aber im Grunde irrelevant. Weil: wenn ich nicht widerlegen kann, daß Ihr seid, Ihr mich aber beeinflussen könnt und ich ich Euch, dann muß ich Euch erst mal als real annehmen - es macht ja keinen Unterschied für mein Handeln.

Das ist cool, weil ich jetzt schon mal Folgerungen ziehen kann.

Die erste ist: Wenn ich bin, will ich weiter sein. Das nennt man Egoismus und ist gesund.

Die zweite ist: Ich bin nicht alleine, sondern es gibt mehr wie mich, und die wollen auch weiter sein.

Und das ändert die Regeln fundamental.

Eine ganze Menge Leute, Helden der Mathematik in diesem Fall, haben auf dem Problem “Die Anderen” rum gerechnet und festgestellt, daß das wegen der Existenz der Anderen die Welt und das Universum als solches kein Nullsummenspiel ist.

Ein Nullsummenspiel ist ein Spiel, bei dem ich verliere, wenn ein anderer gewinnt. Man kennt das - mal verliert man, mal gewinnen die anderen.

Der Punkt ist, das ist Unsinn. Die Welt ist, sagen uns die Mathematiker, nicht ein Spiel, sondern eine Folge von Spielen und sie hat, wie wir Informatiker sagen würden, Zustand. Zustände kriegt man, sobald man sich erinnern kann, also den Ausgang vorheriger Spiele zur Grundlage seines fortgesetzten Handelns macht. Oder wie der große Held Henry Spencer so treffend gesagt hat, “Those who do not remember Unix are forced to reinvent it, poorly.”

Darum ist für die Politiker Fernsehen so wichtig, weil das verhindern soll, daß wir Zustände kriegen.

Die Frage war, ob wir Helden sind.

Und die Antwort ist: wir sind, und wir sind nicht alleine, und weil das so ist, und weil wir uns erinnern können, können wir durch zusammenarbeiten Situationen schaffen, in denen jeder gewinnt, der mit uns zusammenarbeitet - uns selbst eingeschlossen. Indem wir etwas verschenken machen wir langfristig Gewinn.

Die Helden der Philosophie und der Mathematik sagen uns, und das haben sie oft nachgerechnet, daß das eine Eigenschaft der Welt und des Universum als solches ist. Die Welt um uns herum ist so aufgebaut, daß es gut und persönlich gewinnbringend für uns ist, kurzfristig etwas zu opfern, um die Welt und das Universum als solches in einen besseren Ort für uns alle zu verwandeln.

Oder, um es deutlicher zu formulieren: Bill Gates ist ein blöder Idiot. Und nur Du kannst es ihm beweisen.

Sei ein Held.

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