Warum alle meine Texte frei im Netz zu lesen sind

isotopp image Kristian Köhntopp -
March 18, 2007
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Die Süddeutsche Zeitung hat einen etwas unklaren Artikel mit dem Titel Internet: Ende der Kultur? . Dort beklagt man einerseits die Kultur des Kopierens im Internet und sieht das Ende der abendländischen Zivilisation durch Raubkopieren heraufdämmern. Zugleich beklagt man aber das viel zu restriktive Copyright-Regime der letzten Jahre, das die Privatkopie zwar nominell erlaubt, aber die Umgehung technischer Schutzmechanismen verbietet. Am Ende ist der Artikel aber kaum mehr als eine recht undifferenzierte Plagiierung der Propaganda der Medienindustrie - die Kommentare zum Artikel sind jedenfalls um vieles spannender als der Artikel selber.

Der Artikel gibt mir aber die Gelegenheit, hier einmal zu erklären, wieso ich alle meine Texte komplett online stelle.

Mein Textarchiv reicht inzwischen 15 Jahre in die Vergangenheit zurück, bis in das Jahr 1992. Damals las ich einen ziemlich schlechten Artikel in den Fido-Diskussionsforen der c’t über einen Vergleich zwischen AmigaOS und VMS und fühlte die Notwendigkeit, eine recht umfassende Antwort darauf zu schreiben. Kurz danach rief ein Redakteur der c’t bei mir an und fragte, ob er diesen Artikel drucken könne. Ich antwortete ihm, daß er das selbstverständlich nicht könne, da der Artikel für einen bestimmten Kontext geschrieben wäre, der in seiner Zeitung überhaupt nicht gegeben wäre. Ich würde ihm aber gerne einen Artikel mit genau den gewünschten Inhalten für sein Magazin schreiben, der dann vom Kontext her auch alleine stehen könnte.

Er bestellte also eine bestimmte Länge und eine gewisse Menge von Abbildungen, und ich habe ihm 4 KB mehr als die gewünschte Länge, Kürzungsanweisungen um 2, 4 und 6 KB und die gewünschten Zeichnungen geliefert. Zu meiner großen Überraschung hat die c’t das dann relativ unverändert gedruckt und mich für meine damaligen, studentischen Verhältnisse mit einer ziemlich großen Menge von Geld beworfen.

Ich hatte dann Blut geleckt und fing mehr oder weniger unsystematisch an, die Inhalte diverser Vorlesungen an der Uni in allgemeinverständlicher Weise in 20-30 KB Brocken zu pressen. Diese habe ich dann der c’t und anderen Zeitungen als Artikel angeboten. Das war immerhin besser als arbeiten! Die Ergebnisse dieser Bemühungen kann man nun auch hier im Blog lesen.

Alle meine Autorenvereinbarungen mit allen diesen Verlagen (und noch einigen anderen mehr) sind nicht-standard. Zum Teil habe ich da einen ziemlichen Nerv durchlaufen müssen, bevor die Verlage meine Bedingungen akzeptiert haben. Sie alle enthalten eine Vertragsklausel, die mir erlaubt, was immer ich geschrieben habe sechs Monate nach der Erstveröffentlichung durch den Verlag auf meiner persönlichen Website kostenlos im Rahmen einer Gesamtwerksschau “Kristian Köhntopp” zu präsentieren. Und zwar in der uneditierten Version, so wie ich es an das Lektorat des jeweiligen Verlages geschickt habe.

Meiner persönlichen Erfahrung nach hat der Verlag dadurch keinen Verlust: Nachdem das Heft erst einmal verkauft ist, wird der Artikel vielleicht noch einmal in einem “Best Of”-Heft nachgedruckt, oder auf der Heft-DVD “Alle c’t die jemals herausgekommen” verkauft. Der Wert des Artikels für den Verlag besteht hier nicht in dem einzelnen Artikel, sondern der Wert dieser Veröffentlichungen ergibt sich durch die Vollständigkeit: Im Sonderheft sind alle Artikel zu dem Thema, auf der DVD alle Artikel, die jemals veröffentlicht worden sind. Und der Wert meiner Website ergibt sich genauso: Alle Artikel, die Kris jemals geschrieben hat. Es besteht keine Konkurrenz: Beides sind Datenbanken, aber sie sind entlang unterschiedlichen Dimensionen für unterschiedliche Zwecke gebaut worden.

Ich vergebe mir auf diese Weise auch keine wesentlichen Einnahmen: Die Artikel sind Auftragsarbeiten, sie sind bereits bezahlt und durch den Verlag auch verkauft. Sie sind auch nach der Veröffentlichung auf der Website durch das Urheberrecht geschützt: Leute können sie zur persönlichen Bildung auf meiner Website lesen, sie können sie verlinken und referenzieren - ich halte die URLs auf meiner Site mit Absicht stabil. Wenn jemand die Artikel kommerziell nutzen oder kopieren möchte, muss er sich dennoch an den Rechteinhaber wenden. Hier also den betreffenden Verlag, der die Rechte gekauft hat.

Auf der anderen Seite habe ich mit dieser Website nun 44 Megabyte veröffentlichtes Material unterhalb von https://blog.koehntopp.info im Netz, das von Suchmaschinen gut gefunden wird und den Namen “Kristian Köhntopp” mit einer Menge von Themen assoziiert, zu denen ich was zu sagen habe und zu denen ich meine Dienste anbieten kann. Dazu kommen dann noch die Texte unter http://www.php-faq.de/ , die mir zuzurechnen sind.

In der Tat funktionieren alle diese Artikel als eine viel bessere Referenz als jedes Arbeitszeugnis: Als ich mein relativ ad-hoc anberaumtes Bewerbungsgespräch bei web.de geführt habe, hatte ich praktisch keine Zeugnisse dabei. Mir saßen dort mein zukünftiger Chef und ein zukünftiger Kollege gegenüber und ich bekam als Opener zu hören “Also, wir haben uns Ihre Website schon einmal angesehen, und das ist ja relativ beeindruckend. Über die fachliche Qualifikation brauchen wir im Grunde nicht mehr zu diskutieren.” Danke, so lasse ich mir ein Bewerbungsgespräch gefallen!

Zeitweise fand man auf http://kris.koehntopp.de die Bitte, mich nicht anzurufen, sondern Mail zu schicken:

Das ist meine Telefonnummer. Es ist wirklich meine Telefonnummer. Sie ist für Freunde und Bekannte und für Notfälle. Sie ist nicht für > Kontaktaufnahme wegen Fragen zu meinen Vorträgen, oder für “mal eben eine > Frage zu PHP”. Dafür gibt es Mail.

Die entsprechende Passage in der PHP-FAQ wird noch deutlicher:

Der Autor dieser Antwort erhält zur Zeit pro Woche zwischen 40 und 60 private Fragen nach Hilfe zu PHP. Keine dieser Fragen wird beantwortet - das ist arbeitsmäßig einfach nicht zu schaffen. Allgemein: Es ist sinnlos, Fragen per Mail an einen der Autoren dieser FAQ zu senden. Du belastest damit eine einzelne Person mit Arbeit, statt die Arbeit auf die Newsgroup zu verteilen. Außerdem ist diese Arbeit verschwendet, denn die Antwort wird nur von Dir und nicht von den anderen Lesern der Newsgroup gelesen. Auch kann die Antwort nicht vom FAQ-Team weiterverarbeitet werden.

Beide Hinweise waren recht dringend, weil die Texte auf der Site und die FAQ weitaus mehr Öffentlichkeit (und Arbeitsgelegenheiten) produziert haben als ich sinnvoll brauchen konnte.

Zusammenfassend kann ich also sagen: Meiner persönlichen Erfahrung nach kann ich von der Veröffentlichung von Texten in Zeitschriften oder Büchern ganz gut leben. Aber diese Texte sind viel effektiver genutzt, indem ich sie als Werbung benutze die die Marke “Kristian Köhntopp” positionieren, um Aufträge für mich oder meinen Arbeitgeber hereinzuholen: die c’t zahlt gut, aber nur ein Tag Consulting generiert mehr Umsatz als selbst ein großer c’t-Artikel. Die Artikel sind auch gut genutzt, um die Marke “Kristian Köhntopp” bei einem zukünftigen Arbeitgeber oder Auftraggeber zu positionieren und zu legitimieren. Oder einfach um mit legitimen Methoden Such-Traffic auf meine Webseiten zu ziehen. In der Summe mache weitaus mehr Gewinn damit, meine Texte en gros “zu verschenken” als wenn ich sie für Geld scheibchenweise verkaufen würde.

Ich kann jedem potenziellen Autor für Fachzeitschriften nur empfehlen, diese Sechsmonatsklausel zu kopieren und frühzeitig damit zu beginnen eine “Werkschau”-Website aufzubauen. Für mich hat das gut funktioniert - am Anfang ist das ein bisschen ärmlich, aber im Laufe der Jahre und Jahrzehnte kommt dort eine ganze Menge Material zusammen, das letztendlich im wahrsten Sinne des Wortes für einen selbst spricht . Diese Erkenntnis ist nicht bloß meine: Paul Gerhardt, Project Director of BBC Creative Archive , fasst dieselbe Erkenntnis folgendermaßen zusammen:

Our message to all content owners, including all the rights owners in our programs, is uncompromising. We&’re saying that the greatest danger today to their property is not piracy. It’s obscurity.

Meine Website ist nichts anderes als mein privater Versuch, dies für mich selbst zu vermeiden.

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