Regeln vs. Genrekonventionen

Bei den Rollenspielern gibt es einige Versuche, eine Taxonomie aufzustellen. Letztendlich dient es dazu, die Frage zu klären: “Warum spielst Du?” oder “Was erwartest Du von einem gelungenen Abend.”
Eine der ältesten Unterscheidungen ist das 3-fold Model , das sich hauptsächlich damit beschäftigt, auf welche Ebene im Spiel der Spieler Konflikte lösen möchte:
- Will er gegen die Geschichte antreten,
- besser als die Mitspieler sein, oder
- gegen die Spielwelt und ihre innere Logik antreten.
Andere Taxonomien wie das 5-fold beschäftigen sich eher mit den Zielen eines Spielers (Was willst Du erleben?) oder wie das RoLOGG mit ihren Motivationen (“Warum sitzt Du überhaupt heute abend hier?”).
Auf einer grundlegenderen Ebene scheint es Spieler zu geben, die lieber mit Regelbüchern und Würfeln als Instrumenten der Konfliktauflösung spielen, und Spieler, die lieber mit möglichst wenig Regeln und anderen Methoden der Resolution spielen.
Aber ist “regelloses Rollenspiel” wirklich regellos oder welche Regeln bestimmen solche Spiele?
In den Diskussionen auf drsrm kommt recht häufig das Wort Gruppenvertrag vor. Damit ist nicht wirklich ein zu unterschreibender Vertrag gemeint, sondern eine mehr oder - meistens - weniger explizite Übereinkunft zwischen den Spielenden, was denn überhaupt gespielt werden soll und was die Erwartungen an das Spiel sind.
Die erste, grobe Übereinkunft zwischen den Spielenden ergibt sich oft schon aus dem Genre .
In einer klassischen US-Western-Kampagne gelten andere Regeln als in einem Shadowrun-Setting: Im Western werden die Guten halt nur am Arm getroffen, können dafür aber die alleinstehende Farmersfrau nicht alleine im Stich lassen und vor der Übermacht der Bösen fliehen.
In Shadowrun kann der “Gute” halt ohne Probleme in der Gosse mit einem Schuß in den Unterleib verrecken, sogar, wenn es sich um ein sinnloses Drive-by Shooting handelt, das mit der Handlung nix zu tun hat, dafür würden Shadowrun-Spieler aber auch ohne Probleme die alleinerziehende Orkmutter im Erdgeschoß ausrauben, bevor sie ihr den toten Wachmann im Flur anhängen und sich verpieseln.
Und man sollte sich vor dem Spiel dringend vergewissern, ob man jetzt einen US- oder einen Italo-Western spielt, sonst könnte es Mißverständnisse geben!
Zu so einer Übereinkunft gehören aber auch Ideen dazu, warum die einzelnen Spieler am Tisch sitzen, was sie also von so einem Abend erwarten. Robin Laws hat dem Thema “Spielermotivationen und -erwartungen” ein ganzes Kapitel in seinen “Laws of good gaming” gewidmet. Wenn man sicherstellt, daß für jeden Spieler während eines Abends etwas von “seinen” Sachen dabei ist, kann man relativ sicher sein, daß die beim nächsten Mal auch wieder mit dabei sind.
Spiele wie Primetime Adventures (PTA) gehen noch einen Schritt weiter und machen Genrekonventionen und Spielermotivationen zu den Regeln des Spiels. Sie berücksichtigen sogar Konzepte wie Spotlight Time bei der Planung einer Kampagne - es wird zu einem Teil des Spiels, die Kampagne wie eine Fernsehserie zu planen und wie z.B. im Lost Episode Guide festzulegen, daß dies im A-Plot eine “Kate” oder “Locke”-Episode wird, während im B-Plot dieses oder jenes näher beleuchtet wird.
Eine Kampagne oder Spielsession wie eine Fernsehserie zu planen sorgt auch dafür, Spieler mit interessanten Erzähltechniken (Rückblenden, Foreshadowing, Krise, …) vertraut zu machen und sie darauf vorzubereiten, bestimmte Charactereigenschaften vorab besser auszuarbeiten oder betont auszuspielen.
Im Grunde das viel interessantere Konzept - “regelloses Rollenspiel” heißt ja nicht, daß alles möglich ist, sondern vielmehr, daß die Regeln sich nicht arbiträr aus irgendwelchen Regelbüchern ergeben, sondern aus dem gemeinsamen Verständnis davon, was aus dem Genre im allgemeinen und der Session im speziellen und der Situation gerade jetzt möglich ist.