Anonymität und Schizophrenie

isotopp image Kristian Köhntopp -
June 8, 2005
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Nils Ketelsen verweist auf den Artikel Send Us Your Anonymous Tips! auf Anonequity:

When I advocate for anonymous communication in the United States, I always hear the same two objections: you can’t trust an anonymous source; and anonymity promotes crime. And yet if you search for the phrase “send anonymous tips” on the Web, it is found most commonly on the Websites for US police departments. So law enforcement is using untrustworthy, possibly criminal sources to - stop crime. How do we make sense of this weird contradiction in US sentiment?

Wie kann es sein, daß staatliche Stellen auf der einen Seite Anonymität verteufeln und bekämpfen wollen, auf der anderen Seite aber auffordern, vermeintliche Straftaten oder verdächtiges Verhalten anonym anzuzeigen?

Der Artikel bezieht sich dabei auch auf den Watergate-Skandal, eines der bekanntesten Verbrechen in der US-Geschichte, das durch einen anonymen Hinweis aufgeflogen ist und bei dem die Identität des Hinweisgebers erst letzte Woche enthüllt worden ist. Dennoch bestehen die meisten Leute darauf, daß Anonymität der Gegensatz zu Ehrlichkeit und Sicherheit ist.

In der Diskussion um Anonymität wird oft eine Scheinunterscheidung zwischen dem “vertrauenswürdigen Tippgeber” und dem “unidentifizierten Spammer, der uns seinen Müll auf eBay verkaufen will” aufgebaut. So verdächtig eine solch politisch motivierte Unterscheidung auch sein kann, kann sie uns dennoch nützlich sein, wenn wir anonyme Kommunikation im täglichen Leben legitimieren wollen, argumentiert der Artikel. Wir können das staatlich geförderte Bild vom anonymen Tippgeber nehmen, um auf die Wichtigkeit anonymer Kommunikation im öffentlichen Leben hinzuweisen.

Der Artikel verweist auf What Can We Learn from Medical Whistleblowers? , in dem gezeigt wird, wie anonyme Hinweise Journalisten geholfen haben, Verbrechen und Korruption in der Pharmaindustrie aufzudecken.

Aber es muss ja nicht immer um Menschenleben gehen. Vielleicht geht es nur darum, als Michelin-Restaurant-Tester anonym zu bleiben, um zu verhindern, daß die Testergebnisse durch Sonderbehandlung verfälscht werden. Genauso muss die c’t ihre Produkte anonym kaufen, wenn sie den Service und Support von Herstellern für ihre Produkte testen möchte. Andernfalls wäre es ihnen wohl kaum möglich, einen objektiven und korrekten Test aus der Perspektive des durchschnittlichen Kunden durchzuführen.

Deswegen sind solche Hotlines, Webformulare und Briefkästen für anonyme Hinweise und Tipps so wichtig. Sie sind eine ständige Erinnerung daran, daß nicht nur Kriminelle anonym kommunizieren müssen, sondern daß es legitime, anonyme Kommunikation ist, die jeden Tag hilft, Verbrechen und Betrug aufzudecken und zu stoppen!

Natürlich kann man nur hoffen, daß die Betreiber solcher anonymer Tippkästen keine Logs von IP-Adressen führen, von denen der Tipp gekommen ist. Oder man hofft nicht, sondern hilft sich selbst. Tor ist eine gute Methode, seine digitalen Spuren zu verwischen.

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