Unerklärlicher Umsatzrückgang

isotopp image Kristian Köhntopp -
January 27, 2004
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Auf debate tobt mal wieder eine dieser Urheberrechtsdiskussionen, ausgelöst durch einen Trollversuch von Thomas Riedel. Diese Diskussion und alle ihre möglichen Subthreads und Verläufe haben wir auf debate und anderswo ja schon oft genug gesehen.

Bewundernswert dabei Menschen wie Hartmut Pilch , die die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben haben und glauben, man könne noch vermitteln zwischen einer Industrie, die ihre Kunden verklagt und besagten Kunden.

Ich sehe das etwas düsterer.

Die Musikindustrie (was für ein Oxymoron!) befindet sich in meinen Augen in exakt derselben Situation wie SCO, und genau wie SCO kämpft sie um ihr Überleben. Sie hat nur mehr Mittel zur Verfügung und ist lobbymäßig besser aufgestellt. Anders als SCO müsste sie außerdem nicht in dieser Situation sein - 1998 hatte die Musikindustrie eine ausgezeichnete Ausgangsposition.

Aber genau wie SCO ist auch die Musikindustrie mit Gewalt dumm. Außerdem haben ihre Angehörigen Angst. Das macht sie gefährlich. Viel gefährlicher als SCO.

Ich antwortete Hartmut auf der Liste:

Wenn ich RIAA wäre, würde ich solche Systeme als Alternative aufbauen und damit die bestehenden Systeme von 2 Seiten angreifen (Konkurrenz + gesetzliche Auflagen).

Tun die so etwas vielleicht schon?

Nein. Das ist ja das Problem.

Bauen wir die aktuelle Situation aus Kundensicht doch einmal schrittweise auseinander:

Die sogenannten legalen Anbieter setzen derzeit auf “legale Downloads” aus ihren proprietären Downloadplattformen. Diese haben alle Formate mit Digital Restriction Management, sind also mit Open Source nicht kompatibel und somit meist nur auf Windows abspielbar. Tatsächlich sind eine ganze Menge Shops gleich so gestaltet, daß sie nur mit Windows und dort nur mit der Sicherheitslücke MSIE benutzbar sind.

Ich persönlich kann dort schon gar nicht Kunde werden. Ich habe seit Ende 1992 kein Windows mehr im Einsatz.

Die meisten dieser Download-Plattformen sind außerdem für Europäer gar nicht nutzbar. Hier hat sich die Lobby in ihrem Rechtemanagementwahn komplett in eine Ecke gemalt und bekommt neben der Technik auch die Juristerei nicht auf die Reihe. Angeblich gibt es derzeit 25 Download-Plattformen für Europäer. Macht doch mal eine Liste - welche kennt ihr? Welche dieser Plattformen habt ihr in der Werbung gesehen? Oder in Zeitungsartikeln? Und wieviele Artikel über Kazaa, Bittorrent oder den Esel habt ihr in den letzten 7 Tagen gesehen, an die Ihr Euch erinnern könnt?

Das heißt, der ganze legendäre legale Contentreichtum steht derzeit im Grunde nur US-Bürgern zur Verfügung. Wo er Europäern zur Verfügung steht, wird er nicht aktiv beworben. Auch der vorgerippte Content, der als Entschädigung für die CDDA-Standardverletzung auf vielen CDs mitgeliefert wird, ist in der Regel mit einem Restriction Management System festgekettet. In Folge ist er nur mit dem auf der CD mitgelieferten Player abspielbar. Als Kunde muß ich mir also eine Sammlung von inkompatiblen Softwareplayern installieren (so ich ein Betriebssystem habe, auf dem diese laufen), um diesen Content nutzen zu können. Das ist nicht nur eine logistische Aufgabe, sie wird auch laufend schwieriger - oder meinst Du, daß alle diese Player auf Windows 2006 noch laufen werden? Was ist dann mit dem Content?

Das heißt, bei dem ganzen Restriction-Geraffel handle ich mir nicht einen Player ein, sondern eine Sammlung von Playern, die speziell auf MEINER Plattform alle nicht funktionieren. Tatsächlich ist das einzige Format, daß alle Player uneingeschränkt abspielen können, das MP3-Format ohne Digital Restriction Management.

Das ist ein echtes Problem. Die Situation: “Um diesen Titel abspielen zu können, muss ich jenen Player verwenden. Diesen anderen Titel kann ich jedoch nur in dem Player da abspielen.” Jetzt mach mal eine Party: “Mache bitte eine durchlaufende Playlist mit Überblendungen von allen diesen Titeln.”

Noch besser: laß die Gäste auf der Party die Playlist selber manipulieren. Was glaubst Du, was solche Playerwechsel mit Deiner Party machen?

Das heißt, Digital Restriction Management in seiner aktuellen Ausprägung versaut mir jede Party. Aber ich brauche wahrscheinlich sowieso einen speziellen Party-Player mit speziellen Party-Lizenzen für die Beschallung, um zu mehreren Spaß haben zu dürfen.

Weiter: Die Downloadplattformen der Anbieter blockieren einander nicht nur mit inkompatiblen Softwareplayern auf dem PC. Sie schließen auch bestimmte Kundenkreise aus, wenn der Kunde zusätzlich noch darauf achten muss, dass er einen (portablen Hardware-) Player hat, der das Restricted Format der Downloadplattform x mit unterstützt.

Das heißt, wenn ich Content haben will, der Mobil sicher funktioniert, muß ich MP3 verwenden.

An weitergehende kreative Anwendungen - Sampling, Mixes, Dubbing und so weiter - braucht man bei Restricted Content gar nicht zu denken.

Wir lernen: Nur wer Content aus P2P-Netzen bezieht oder selber rippt, kommt an eine Sammlung von Musikstücken,

  • die über Player- und Betriebssystemgrenzen hinweg portabel abspielbar ist,
  • die kreativ einsetzbar ist
  • und die zukunftssicher ist.

Kauf-Musik mit Restriction Management hat keine Valueproposition für mich als Kunde. Insbesondere erwerbe ich keine Werte. Ich kann Geld, daß ich dort ausgebe, gleich als ca. Dreijahresmiete für das “gekaufte” Downloadstück abschreiben. Danach gehen die Player nicht mehr und Ersatz gibt es nicht, remote Restriction Management Sites sind nicht mehr erreichbar oder existent, die Platte meines Rechners hat sich zerlegt (und zwar gerade der Teil mit der Keysammlung, sodaß die eigentlichen Downloads sich in wertlosen Bitschrottverwandeln) oder das fragile Gerümpel fällt aus einem anderen Grund in sich zusammen.

Zum Vergleich: Meine CD-Sammlung hier geht jetzt bald zweilagig einmal die Wand meines Zimmers lang, das sind etwa 6 Meter CDs dicht an dicht gestapelt. Die Ältesten dieser CDs sind von irgendwann aus den 80ern. Was glaubst Du ist mit meiner Investition in heutige Download-Plattformen im Jahre 2024 los, oder auch nur 2014? Was ist für mich als Käufer und Sammler die bessere Investition?

Ich bin als Musik-Kunde so doch zwingend auf CDDA oder P2P-MP3s angewiesen. Alles andere wäre sträfliche Dummheit von meiner Seite.

CDDA wird zunehmend nicht mehr angeboten.

Die Reaktion der Kunden ist nur folgerichtig.

Die Lobbyorganisationen und Verwertungsoligopole setzen auf Kriminalisierung der Nutzer. Sie haben keine Alternative. Es ist auch keine Alternative absehbar. Die einzige Quelle für funktionierende und portable Musik sind P2P Netze.

Das ruft besser anonymisierende und besser verteilende Netze hervor. Dankenswerterweise erhöht sich der Druck auf P2P-Nutzer auch nur schrittweise, so dass die P2P-Nutzer und Entwickler in aller Ruhe eine Sequenz von P2P-Systemen mit jeweils einer Laufzeit von 1-2 Jahren austesten können, dann neue Angriffe auf diese Netze seitens der Verwertungsoligopole beobachten können, und schließlich in relativer Ruhe neue, verbesserte P2P-Plattformen deployen können.

Das ist exakt derselbe Prozeß, den die IETF mit den RFCs getestet und als extrem brauchbaren Prozeß für die Entwicklung von funktionierenden und robusten Protokollen erkannt hat, nur daß das hier durch externen juristischen Druck motiviert und angetrieben wird.

Die beobachtete Entwicklung ist zwingend.

Ich frage hier u.a. ziemlich viel, weil ich Positionen zur anliegenden Durchsetzungs-Rundumschlag-Richtlinie ausarbeiten muss, die von Herstellern proprietärer Informationen mitgetragen werden müssen.

Es ist egal. Eine solche Richtlinie sorgt nur für den notwendigen Druck, der das Deployment der nächsten Runde P2P-Systeme lostreten wird. Ende 1998 entstand Napster. Das war der Zeitpunkt, zu dem die Anbieter von Musik hätten reagieren müssen und zu dem sie sich mit dem oben genannten Problemen hätten auseinandersetzen müssen - einheitliche Player, einheitliches Restriction Management, dauerhafte Value Proposition.

Dazu ein Marketing, das auf Vertrauen und partnerschaftlichem Kundenverhältnis beruht, statt auf Klagewellen gegen die Leute, die deren Jobs finanzieren sollten.

Stattdessen hat eine ganze Industrie 5 Jahre lang gepennt.

Game Over.

Oder siehst Du irgendeinen Weg, der aus dieser Sackgasse herausführt? Der Kunden davon überzeugen könnte, daß Restricted Content eine Geldausgabe wert ist? Und für den noch Zeit ist?

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